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der Kirchenglocken jeder wieder auf seinen Weg sehen und Parteigezänke den Dank ersticken, Klage und Anklage das Lob verstummen heißen? Wird unsere Jugend wahrhaft und wehrhaft erstehen, dem Gemeinen abhold und dem erschlaffenden Wohlleben feind, streng, ernst und keusch? Wird der Genuß durch harte Arbeit erkauft werden wollen, ein Genuß, der wieder zur Arbeit befähigt? Soll Gehorsam und Zucht noch Freiheit sein oder soll Willkür Freiheit heißen? Soll jener Verleumder deutscher Sitte und Zucht (Smith), der die Frauen und Jungfrauen nicht nur der Stadt, die ihm manches Jahr gastliches Obdach gewährt hat, sondern unseres Vaterlands schnöde verleumdet hat, von einer Zukunft geredet haben, in der Reinheit und Sittsamkeit Wahn und Klang sind? Sollen Ehen geschlossen werden, damit ihr edelster Schmuck ausbleibe und ihre Bestimmung zu schanden werde?

 Wird unsere Kirche noch Gewalt über das Volk haben, nicht äußere, sinnenfällige, berauschende und berückende, sondern die Gewalt der lauteren Ueberzeugung aus dem guten und ehrlichen Rechte des Glaubens? Wird das alte Evangelium, das tausend Arten der Verkündigung und nur eine des Bekenntnisses gewährt, noch Glauben finden?

 Wahrlich, wir hätten Grund genug, in eine trübe, sonnenlose Zukunft zu blicken und möchten gerne der Arbeit überhoben und der Ruhe vor dem Unglück teilhaftig werden. Kreuzesschau gebiert gern Kreuzesscheu.

 Aber aus der Passion, aus der alten Epistel des Passionssonntags erhebt sich die heilige Gestalt des großen Schmerzensmannes und mächtigen Siegers. Nie war sein Werk ärmer und dessen Fortgang gefährdeter als in seiner Todesstunde. Und durch sternenlose Nacht, über unseliges Land, in eine arme, angstvolle Welt ertönt das: Es ist vollbracht. Die Kraft des Siegs hat Er in sein Werk gelegt. Wir müssen dieses aufnehmen und jene glauben, kämpfen, als ob unser erst der Sieg würde und hoffen, weil Sein der Sieg ist. „Unser Herr Jesus Christus“! Welch ein Trost liegt in diesen vier Worten, deren jedes eine Welt voll Sonne und Sieg beschließt. Kein Fremder, ferner, starrer Lehrsatz ängstet uns, sondern ein naher, freundschaftlich uns verbundener, durch Leid und Not mit uns gegangener Genosse steht vor uns. Und dieser Genosse, so menschlich nahe und so treulich uns zugewandt ist zugleich ein Herr aller Welten, ein

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Hermann von Bezzel: Passionsgedanken. Verlag der Buchhandlung des Vereins für innere Mission, Nürnberg 1916, Seite 15. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_von_Bezzel_-_Passionsgedanken.pdf/15&oldid=- (Version vom 10.11.2016)