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und durch nüchterne Selbstbeurteilung hindurch, daß der Mensch die Ewigkeit für zu gering und die Einfältigkeit des auf sie gerichteten Auges für Torheit hielt und das „Ich bin Ich selbst allein“ Richards III. seine Losung ward. Nennen wir es Selbstbehauptung ohne inneres Recht, Selbstliebe ohne Selbstkritik, Zufriedenheit ohne Friede oder heißen wir es Vorordnung des Rechtes vor der Pflicht, Vereinzelung des Genusses und Erhebung des Genusses zum Selbstzweck oder heißen wir es nach dem Tiefsinn des deutschen Sprachgeistes Sünde, Lösung vom Lebensquell und Bindung an sich selbst – der Grund des Leides, unserer Passion liegt nicht außer uns, in dem Neid mißgünstiger, in dem Hohn selbstsüchtiger Mächte, nicht in der Kreatürlichkeit der Abhängigkeit noch in der Befangenheit mit Erdenwesen, sondern in uns: der fromme Gott macht dir gar keinen Schmerz, die Unlust schafft in dir dein eigner Wille. An den selbstgewählten Gütern und Göttern stirbt der Mensch, weil er von der lebendigen Quelle sich losgesagt hat und in eignem Lichte entfernt von „Gottes Heiterkeit“ sieht er alles falsch und verkehrt, die Finsternis als Licht, weil es Selbstwahl ist, und das Licht als Nacht, weil es geliehen ist. Denn der Mensch sehnt sich nach Freiheit so stark, daß er selbst geschmiedete Ketten, die er selbst um seine Füße schlingt, als höchste Gabe zeigt, weil ein „selbst“ darüber ist, während er die ewige Freiheit als Knechtschaft verwirft, da sie nicht von ihm stammt.

 Aber das Herz ist zu Einem hinbestimmt und wird nur in seiner Bestimmung und Bestimmtheit stille, die Seele ist nur des Einen Gedanke, in dem allein sie wirklich ruhen kann, wie der Gedanke immer wieder zu seinem Urheber zurückkehren muß. Freiheit von Gott ist Gebundenheit an’s Ich: wo die Aufwärtsbewegung gebricht, tritt nach bleibendem Gesetze der Schwerkraft mit Gewalt Sinken und Versinken in seine Rechte. Wer die Ewigkeit nicht liebt, der muß sie leiden, und wer nicht von ihr lebt, der muß an ihr leben; man leidet Pein in dieser Flamme. Man hört den Reigen der Seligen und versteht ihn nimmer, man sieht ihre Freude, wie sie Fiesole mit liebewarmer Farbe dargestellt hat, und erfaßt sie nimmer: die Welt ist leer, der Sinn ist tot. In übermenschlicher Phantasie spricht das neutestamentliche Weissagungsbuch von Bergen, die nicht verbergen und von Hügeln, die nicht verdecken können: wem Sterben wollen das höchste Ziel ist, dem ist Leben müssen die schwerste Qual.

Empfohlene Zitierweise:
Hermann von Bezzel: Passionsgedanken. Verlag der Buchhandlung des Vereins für innere Mission, Nürnberg 1916, Seite 7. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_von_Bezzel_-_Passionsgedanken.pdf/7&oldid=- (Version vom 10.11.2016)