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 Wo aber Weh zugleich als Protest gegen sich selbst ersteht „Herr, warum?“ und der Jammer emporblickt als eine Frage über sich, da kehrt die Liebe ein, und schon ihr Anblick ist tröstlich. Denn sie trägt nicht die starren Züge der Herablassung, daß die Not sich abermal fürchten müßte, eine kalte Unnahbarkeit weltfremder Hoheit, der kein Herz sich voll erschließen, keine welke Hand ihr Leid anbieten möchte, sondern auf ihrem heiligen Antlitz haben Not und Angst sichtbare Furchen gezogen, über die klärend und segnend die Siegesfreude hingeht. Sie trägt die Malzeichen des Herrn Jesu in ihrer Sichtbarkeit (Gal. 6, 17), Narben des Kampfes und Ehrenmale des Sieges.

 Und ihr erstes Wort lautet nicht, segnend scheinbar, in Wirklichkeit mehr versprechend als gebend: Weine nicht! sondern ist die linde und mütterliche Frage: Was weinst du? Es liegt in dieser Frage die wundersame Erinnerung an die „Sympathie“ im Vollsinn dieses oft verkannten und mißbrauchten Wortes, an das Mit-Leiden, das so ernst und groß, so echt und wahr gewesen ist, daß es nimmer vergessen will und kann, was es einst erfuhr und bei allen Leidenden die frohe Ahnung erweckt, daß hier Verständnis wohne, dem man sich vertrauen, und Erfahrung spreche, der man sich ohne Worte mitteilen kann. denn die wahre Not macht schweigsam und die wohlberedte ist nicht wahr, das tiefste Leid sucht umsonst nach Worten. Aber die Liebe deutet auch das Schweigen, ja dies am liebsten und am besten. Zu dem Einsamen dort am Meere, den Winde und Wogen umdrohen, spricht sie: Warum schreiest du also? (2. Mose 14, 15).

 Die Innere Mission hat als Tochter der nicht aus dem Leide geborenen, aber für die Not gewordenen Liebe die Pflicht zu fragen, denn sie kennt das Leid in sich. Es ist ihr nicht wesensverwandt und doch ihr Mutterboden, nicht ihr Grund und doch ihre Ursache, sie entstammt nicht dem Leid und der Not des Daseins, aber sie verdankt sich ihm. Wie die Stürme des Winters den Frühling wecken, den sie nicht erzeugten, und aus der Starrheit das Leben hervorrufen, die es nicht gebar, so ist das Werk der Inneren Mission vom Leid des Tages gerufen, das sie um seine Tränen befragt und das sie trösten will.

 Denn zur mitleidsvollen Frage fügt sich das hoheitsvolle Trostwort: Weine nicht! Der müde, unmännliche Weltschmerz nennt die Träne des Lebens Weihe und den Tod des Lebens Kraft. Weltverneinung ist Weltüberwindung und je mehr der Mensch weint, desto tatenloser und ruhevoller schließt sich die Kette, deren Schlußglied Verzweiflung und deren Ende die süße Ruhe des Nichts ist. – Weine nicht! der Stoizismus heißt den Schmerz verachten und so ihn heilen: wer ihm das Recht abspricht, der hat ihn besiegt. Wer das Leid nicht achtet, den verläßt es, und die Bitterkeit des Todes flieht den, der seiner lacht, aber das Wort des Trostes ist die Tat der Treue. Sie sinnt auf