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Maß zurückgeführt. Nicht der Heiland, der mich Todkranken errettet, nicht der Hohepriester, der durch sein stellvertretendes Opfer mich gewonnen hat, wird hier bekannt, sondern der gute Lehrer, der mich mit etlichen gemeinnützigen Kenntnissen bereichert, wird gepriesen. Es ist die tiefste Klage der trauernden Kirche vor manchen Lehrstühlen, über manche Kanzeln: Sie haben meinen Herrn weggenommen und ich weiß nicht, wo sie ihn hingelegt haben (Joh. 20, 13). Gerade unsere evangelische Frauenwelt, die Jesu Christo nicht nur ihre Heiligung und Erlösung sondern auch die ganze soziale Stellung verdankt, daß sie gleichbürtig und gleichwertig im Hause, in der Familie gilt und geehrt wird, sei herzlich gebeten, sich des alten Christus und des alten Evangeliums, der Katechismuswahrheiten erst dann zu entschlagen, wenn sie ihre Wahrheit ganz ermessen hat. Ich weiß gewiß, sie wird dann das alte Evangelium nimmer lassen können. Es liegt zu Tage, daß unsere gebildeten Frauen in großen Scharen von dem Evangelium, nicht wie ein starres kaltes Lehrgebäude in tote, leere Begriffe es gebannt hat, sondern von dem apostolischen Evangelium sich abwenden. Die Größen, die ihr Herz erfüllen, sind lichter, glänzender, weltfroher und feiner. Umsomehr danke ich, wie man seiner Mutter für ihr erbauliches Leben, Leiden und Scheiden nur danken kann, allen denen, die uns Männer im heißen, ermüdenden Kampfe mit ihren Gebeten stärken und mit uns die Schmach der Rückständigkeit, der Verkehrtheit und Unweltläufigkeit tragen. Ich sehe aber mit großer Sorge auf ein Christentum, das etwa aus der „Christlichen Welt“ seine einige Nahrung zieht. Treue gegen Jesum bleibt beim Alten, weil es nie veraltet. Und ist das Altmodische immer das Geringere? Sind die Kulturfortschritte Rettung gegen die Sünde? Ist der Neid und die Mißgunst geschwunden, weil wir im Auto durch die Erde und im Aeroplan über sie hineilen? Hat der Milliardensegen von 1873 wirklich Besserung gebracht? In Deutschland sterben jährlich 14 000 Menschen durch Selbstmord, jeder dreißigste Mann ist ein Selbstmörder! Hat die hohe Intelligenz, die mit den feinsten Mitteln ärztlicher Wissenschaft umzugehen weiß, einen Hopf in Frankfurt besser werden lassen und hat all der bewundernswerte Fortschritt in der Hygiene wirklich

Empfohlene Zitierweise:
Hermann von Bezzel: Pflichten in ernster Zeit. Carl Junges Buchhandlung, Ansbach 1914, Seite 10. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_von_Bezzel_-_Pflichten_in_ernster_Zeit.pdf/10&oldid=- (Version vom 8.8.2016)