der Vorlesung über den Römerbrief. Ich bin der Erste und bin der Letzte und bin der Lebendige. So faßt der Auferstandene seine Welt überdauernde, Welt belebende und Welt verklärende Tätigkeit, seine heilige Mission an sie zusammen. Er ist ihr Anfänger geworden, er will ihr Lebensinhalt und ihr Vollender sein: an ihm und in ihm und zu ihm sind alle Dinge. Wäre er nur der erste, so wäre er nicht der lebendige, wäre er nur für sich, so wäre er nimmer der letzte. – Der heilige Geist ist Zeuge dieses Lebens geworden und geblieben, er hat Jesu den Weg in die Welt gebahnt, zu seinem Wort sich bekannt, sein Kreuz verklärt, seinen Tod mit dem österlichen Gnadenwerk verherrlicht. Nun ist er in der Welt geblieben, daß er in alle Wahrheit leite und aus dem Verlangen nach Wahrheit ruft er: Komm! –
In welche Tiefen seiner selbst läßt der Geist Blicke tun! Allein auf dieser ihn so oft vergessenden Erde, mitten in der ihn betrübenden Welt sehnt er sich nach Jesu Wiederkunft, die ihn aus aller Gebundenheit frei machen soll. Oder ist es nicht Gebundenheit, wenn in unscheinbaren geringen Worten, in der menschlich beschränkten und unansehnlichen Schrift sich der Strom seines Wirkens, die Klarheit seines Wesens aufhalten lassen und verbergen muß! Habt ihr nie darüber nachgedacht, Geliebte, was der heilige Geist in diesen Tagen empfindet, da mit dem irdenen Gefäß der köstliche Inhalt verachtet und der Geist geleugnet werden will, weil er so schlicht einhergeht! Die einen nennen ihn einen Irrgeist, die andern einen zeitlich beschränkten, kurzsichtigen und kurzlebigen Geist, und wenigen nur ist er der Tröster, der mit Worten göttlicher Kraft und göttlicher Weisheit denen naht, die seine Ohnmacht und Torheit nicht belächeln, sondern als Erweis liebender Herablassung anbetend ehren. Was Wunder, daß aus der Schrift und ihren Rätseln, aus den tausendfachen Dissonanzen, die in der Gegenwart aufgezeigt werden, der heilige Geist zu dem ruft, dem er dient und den zu verklären er gesandt ist: Brich dein Schweigen, wenn sie um meines Zeugnisses willen dich leugnen, tritt herbei und bekenne dich zu meinem Worte und bezeuge dich als den Lebendigen! Einsamkeit des heiligen Geistes ruft den Meister herbei: Lässest du mich traurig gehen wenn der Feind mich drängt? (Ps. 42, 10.)
Was leidet der heilige Geist unter der Erfolglosigkeit seiner Arbeit! Die Kirche immer mehr aus der Faßbarkeit der Erscheinung und aus der überwältigenden Herrlichkeit, mit der sie einst ihre Freunde zur Bewunderung fortgerissen hatte, in die Unfaßlichkeit
Hermann von Bezzel: Predigt am Missionsfest in Nürnberg. Verlag der Buchhandlung des Vereins für innere Mission, Nürnberg 1911, Seite 4. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_von_Bezzel_-_Predigt_am_Missionsfest_in_N%C3%BCrnberg.pdf/4&oldid=- (Version vom 10.9.2016)