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eigene und fremde Untreue, Gehorsam und Schweigen gelernt, die Liebe der Anfangszeit ist stiller geworden, aber darum nicht weniger innig, sie hat die lebhaft erregte Hoffnung zur lebendigen gewandelt. Aber auf der Stirne ruht nicht nur eine entstellende Wolke, sondern als ein sie adelnder Schmerz, das Heimweh. Mit Maria hat sie frühe am Morgen ihrer Geschichte, ihren Herrn zu suchen, sich aufgemacht und seinen Friedensgruß vernommen, seine Lebensnähe gespürt, geehrt, bezeugt. Nun es auf den Abend geht, sieht sie Steine auf sein Grab gewälzt, von Gewalt und Macht der Welt aufgetürmt und gewahrt das Siegel der Wissenschaft auf den Stein gedrückt: Dieser ist Gottes Sohn gewesen und ists nimmermehr. Und ob sie gleich oft das Fenster gen Jerusalem weit aufgemacht und in die dunkle Nacht, in den lichten Morgen hinausgespäht hat, ob ihr Heiland nicht komme, hat sie nur den höhnenden Ruf vernommen: „Dein Herr kommt noch lange nicht“ (Matth. 24, 48). – Man hat ihr aus dem Ring, den ihr Herr ihr verehrt hat, den edlen Stein brechen wollen, als sei er unnütz und unwert – und wollte ihr den schlichten Glauben nehmen, der überjahrt und veraltet sei und heißt sie die Erde bebauen und das Feld behaupten und mit Großen und Größen rechnen. Man hat sie über ihren Träumereien gescholten (1. Mos. 37, 19) und über ihre Ungewandtheit verlacht. Und es ist wahr, lutherisch sein heißt unweltläufig, ohne rechte Klugheit und Geschicktheit sein. Es ist wahr: die Braut Jesu Christi ist oft zu spät gekommen, wenn man die Welt aufteilte und vergab. Aber eine Welt voll Liebe und eine Welt zur Liebe ist ihr geblieben.

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 Die Braut spricht: Komm! Ihre innigen Glaubens- und Heimatslieder, ihre Bekenntnisse und Bekenntnisschriften, nicht tote Paragraphen und dumpfe, kalte Lehrgebäude, sondern Lebenstaten und Auen voll lieblicher Blumen, deren Duft und Kraft Sterbende tröstet und Matte aufrichtet, ihre Katechismen Betbücher, Kindern behältlich, Männern diensam, Werdenden lieb, Gereiften wie ein Gruß aus frohen Tagen, – wahrlich eine Welt voll Liebe! Denn aus allem spricht das Verlangen nach ihrem Herrn, mit dem sie sich verbunden weiß, den sie nicht überall nennt, um ihn nicht preiszugeben, aber allerorts und allezeit bekennt, um ihn nie zu verleugnen. O Geliebte, schämt euch eurer Kirche nicht, deren bräutliche Geweihtheit unter den Tränen der Buße und des Heimwehs wahrlich nicht leidet. Haltet sie nicht für unwert, weil sie die

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Hermann von Bezzel: Predigt am Missionsfest in Nürnberg. Verlag der Buchhandlung des Vereins für innere Mission, Nürnberg 1911, Seite 7. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_von_Bezzel_-_Predigt_am_Missionsfest_in_N%C3%BCrnberg.pdf/7&oldid=- (Version vom 10.9.2016)