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verkündigen, indem ich ganz einfach von der Armut des Gotteswortes und von dem Reichtum des Menschenwortes predige.

 Heilige uns Herr in deiner Wahrheit, dein Wort ist die Wahrheit. Amen.


I.

 – Armut des Gottes-, Reichtum des Menschenwortes! – Es ist, als ob der Prediger die Begriffe verwechselt hätte. Wer aber tiefer hineinsieht, wird merken, wie recht die Worte gewählt sind. Unser Herr läßt in das Geheimnis seiner ewigen Werkstätte hineinblicken; wir sehen, wie in diesem geheimen, ewig verborgenen Rat und Willen etwas bereitet wird, dessen die Welt nicht wert und doch so bedürftig ist, etwas ersonnen wird, das die Welt nicht geben kann und darum mit höchster Ehre und Freude aufnehmen soll, und wie aus diesen ewigen Tiefen und Verborgenheiten sich eine Persönlichkeit göttlicher Art und göttlichen Wesens aussenden läßt, daß sie über die Zeiten hingehe, mit dem unscheinbarsten Beruf betraut, den wir kennen: ein Säemann – der nichts anders will und weiß, als den Samen ausstreuen. Kein König, der im Reich der Gedanken herrscht, kein Zwingherr, der Menschengedanken auf ein ganz Bestimmtes nötigt. Er könnte herrschen und will dienen; er könnte zwingen und will bitten. Nicht ein hoher Denker, nicht ein großer Weltweiser – ein armer Säemann! So ist Christus vor Menschengedenken u. vor Menschenwissen im höchsten Auftrag über die Erde hingegangen, daß er säe. Er hat aber die Säemannsarbeit nicht bloß geistlicher Weise in der Unsichtbarkeit seiner Geisteswirkung ausgeführt, sondern in der Fülle der Zeiten, da die Erde sich zum Himmel bittend erhob und der Himmel zur Erde segnend sich senkte, ist er Mensch geworden, in der ärmsten Unscheinbarkeit über die Welt hingezogen – ein armer, enger, in den Schranken der Leiblichkeit und der Endlichkeit sich bewegender Mann, in dem Einen groß, daß er mit Gründlichkeit klein sein wollte, dadurch so gewaltig, daß er bewußt sich erniedrigte.

 Ein Säemann ging aus, am frühen Morgen, als die Welt im Dämmer des Schöpfungslichtes lag und da und dort die sehnende Seele nach Wahrheit verlangte. Da ist er gekommen und hat in die Heidenwelt tragende Wahrheiten hinausgestreut und in das Volk seiner Auswahl diese volle Wahrheit, ob auch noch so formlos und ungestalt eingegeben. Am Morgen jauchzten, die von diesem Wort getroffen wurden – und wo es einkehrte, da rauschte ihm der Dank der Sehnsucht und die Freude des Besitzes entgegen.

 Als es Mittag in der Welt wurde, ein heißer, schwüler Mittag, weil die Sünde ihre Gewalt und die Verneinung ihr großes Recht ausgeübt hatte, ist der Säemann nicht scheu und zage

Empfohlene Zitierweise:
Hermann von Bezzel: Predigt am Sonntag Exaudi 1912. Verlag der Buchhandlung des Vereins für innere Mission, Nürnberg 1912, Seite 4. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_von_Bezzel_-_Predigt_am_Sonntag_Exaudi_1912.pdf/4&oldid=- (Version vom 1.8.2018)