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Herr und Meister ist, so gewiß ist durch seine Armut die Gemeinde reich geworden.

 Er ist in die Höhe gefahren und hat den Menschen Gaben gegeben – die größte Gabe, er schenkte ihnen von neuem ihr Wort. Wunderbar, so wunderbar, daß der größte deutsche Dichter bei dem kurzen johannischen Vers – „im Anfang war das Wort“ – staunend und sinnend verweilt. Wer kann das fassen – im Anfang nicht der Begriff, im Anfang das Wort! Und dieses Wort hat er mir und dir gegeben.

 Die Waffe, mit der ich ihn verteidige und ihn bekämpfe, die Gabe, mit der ich ihn bekenne und bestreite, die wunderbare Gewalt, mit der ich Höhen entflammen und Himmel erschließen kann. – Er gab mir das Wort! Wenn ein Wort eilfertig von den Lippen eilt – ein kleines Feuer, welch einen Wald zündet es an! Eine Schneeflocke, hoch von den Alpen abgelöst, als Sturzlawine neigt sie sich und sinkt zu Tale! Und wiederum, welch eine Treue kann sich in ein Wort legen, in den Klang der Stimme, in die suchende, mahnende, bittende Art! Nur ein Wort – ein Wort des Rechtes und ein Wort der Richtigkeit! Das größte aber an diesem Wort ist, daß ich mit ihm eine Brücke in die Ewigkeit hinüber schlagen kann, nachdem Jesus, das menschgewordene Gotteswort, die Brücke herab in die Zeitlichkeit schlug – ich kann mit dem Worte beten.

 Wir feiern in diesem Jahr das Todesjahr eines der größten und ernstesten Denker und Philosophen. Solange Deutschlands Ehre hochgehalten wird, wird man des einst in Erlangen, später in Berlin gewesenen Fichte nicht vergessen. Zu diesem kam der in seinen Liebeswerken so bedeutend gewordene Baron von Kottwitz, ihn um Gaben für die Kinder, die im Cholerajahr verwaist waren, zu bitten. Darauf erwiderte der Denker: „Das Kind betet, der Mann will.“ Kottwitz aber entgegnete: „Des Mannes größtes Vorrecht ist, daß er seinen Willen in Gebet wandelt und daß er sein Gebet als Willensakt vollzieht.“ Elia, ein Mensch gleich wie wir – wir sollen in seine Fußtapfen treten und können es auch – er hat gebetet.

 Wunderbar groß sind die Taten des Propheten, wenn der Feuergeist den Zorn Gottes auf Abtrünnigkeit und Abgötterei niederfleht, so wie der große Meister der Töne, ihn in seinem Oratorium zeigt. Gewaltig, wenn er die Königin straft und ihr den Untergang weissagt, so wie es vielleicht der Künstler an den Toren von St. Madeleine in Paris dargestellt hat. Aber das ist dem neuen Testamente allzumenschlich. Das ist unreines Temperament, das noch nicht geheiligter Charakter. Von allem, was Elia gab und hatte, bleibt nur eins – er hat gebetet; und der Himmel tat sich auf und regnete und die Erde gab ihre Frucht. Das ist die größte Gewalt des Menschenwortes, daß

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Hermann von Bezzel: Predigt am Sonntag Exaudi 1912. Verlag der Buchhandlung des Vereins für innere Mission, Nürnberg 1912, Seite 8. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_von_Bezzel_-_Predigt_am_Sonntag_Exaudi_1912.pdf/8&oldid=- (Version vom 1.8.2018)