Seite:Hermann von Bezzel - Predigt zur Eröffnung der Generalsynode.pdf/9

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

zur Familienfeier, die Kirche an den Gräbern zum Dekorationsstück herab, zur bestellten, ach! oft zur bezahlten Rednerin. Die Selbstmordziffer schwillt unheimlich an: vier evangelische Zöglinge höherer Bildungsanstalten haben in diesem Jahre sich das Leben genommen: wir klagen nicht an, aber wir beklagen. Die Austritte aus der Kirche mehren sich in schneller Folge, Geheimdienst und offener Abfall fördern ihn, die Sünden des Fleisches, der Brutalität wachsen zu einer unheimlichen Flut. So ist „auswendig Streit, inwendig Furcht“. – Man hat lange genug unsere Landeskirche von den tiefgehenden innerkirchlichen Bewegungen verschont gesehen, vielleicht für immer verschont geglaubt, als ob geistige Bewegungen an Landesgrenzen umkehrten und der Geist so obenhin gedämpft werden könnte! Nun ist, lange vorbereitet und plötzlich veranlaßt, das bittere Weh des Kirchenstreites ausgebrochen, ein ernstes, großes Leid. – Wir brauchen fromme Geistliche, treue Lehrer, reichbegnadete Erzieher – wo bleiben sie? Wohin der Blick geht, – ist Streit und Not. Die Wellen gehen hoch, und ihr Herr scheint zu schlafen.

 Uns ist bange, aber wir verzagen nicht. Wir sind wie wegelose Leute, aber das ist Gottes Ehre, in Seiner Weisheit einen Weg zu kennen. Teure Väter und Brüder, Ihr kennt ja mit uns, ihr teilt mit uns die Eliasfrage und -klage: „Es ist genug, Herr, so nimm denn meine Seele“. Aber ihr wißt auch den Bescheid des Herrn: „Stehe auf, du hast einen großen Weg vor dir“. Dieser Weg muß und will beschritten werden, so lange Gott steht, dieser Ruf muß und darf befolgt werden, weil der treu ist, der ruft. – „Nur kein gottloses Stillschweigen!“ warnt Luther vor dem lauen Optimismus. Aber – „Seid getrost, Ich habe die Welt überwunden. Dies Wörtlein mußt Du groß schreiben. Und ist’s nur Ein Wörtlein, hat nicht aus einem Stäublein Gott die Welt gemacht?“ So predigt er den heilwertigen Optimismus, denn man kann auch im Trauergewand Gott verleugnen und tatenlos die heilsame Pflicht versäumen. Wir wollen mit der Verzagtheit brechen, die müden Kniee aufrichten, die lässigen Hände stärken und ans Werk gehen, in den Kampf schreiten, der uns verordnet ist.

 Wir haben ihn nicht erwählt, aber Er hat ihn für uns erwählt, den Kampf wider Schein und Traum, wider Unwahrheit der Wirklichkeit und die Wirklichkeit der Unwahrheit, wider tote Rechtgläubigkeit und falsche Lehre uns verordnet. Weil Er ihn befohlen hat, so wollen wir ihn aufnehmen und wie Er ihn geführt hat, durchstreiten, Laufen durch Geduld. Spener hat einmal an Luther die patientia und die fides heroica gerühmt, die herzliche Geduld und den heldenhaften