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zum Muster vorgestellt zu werden, Jer. 35, 1 ff, wenn das Neue Testament die erste Wort- und die erste Tatoffenbarung unseres Heilands von der Gewohnheit ausgehen läßt, sollten wir da das gewohnheitsmäßige Bekenntnis verkennen? Schließlich ist doch alles auf Gewohnheit aufgebaut.

 Wie die Vögel unter dem Himmel ihre Nester haben und die Zeit wissen, wenn sie wiederkommen sollen, und die Tiere des Waldes ihre Gruben und Schlupfwinkel, so ist dem Menschen die Lust an dem Heimischen und Altvertrauten eigen. Der Rauch der Heimat glänzt anders im Sonnenschein als der in der Fremde, der kleine Fluß, der durch das Wiesengelände hindurchzieht, ist unvergessen. Der Klang der Glocken auf dem heimatlichen Kirchturme stimmt reiner zum Gebet. Denn alles hat Geschichte gehabt, ehe die unsere begann, und hat dann und darum die unserige eingenommen und bestimmt und wird auch die Lebensformen derer, die nach uns kommen, beherrschen. Der alte Stuhl, auf dem Vater und Großvater uns erzählten, ist aus der Mode, aber nicht aus der Liebe gekommen und die alte Bibel mit vergilbten Blättern, über denen unsere Mutter und Großmutter saßen und weinten, denen sie ihre Sorgen anvertrauten und aus denen sie den Segen und die Siege ihres Lebens holten, ist längst durch eine neue ersetzt worden. Aber am Sonntag greifen wir wieder nach ihr, und wenn wir Blatt um Blatt bedächtig umkehren, treten all die teuern Gestalten mit der Mahnung zu uns heran: halte, was du hast! liebe deine Kirche, ihre Rechte laß dein Lied sein im Hause deiner Wallfahrt! Man hat mit der Wolke und Schar vollendeter Zeugen wieder Zwiesprache gehalten und ist in ihrem Frieden zum Frieden gelangt.

 Ihr haltet noch auf altväterliche Sitte und tut wohl daran. Wenn die Trachten des Landvolkes dahinfallen und es sich seiner Sprache schämt, hochdeutsch statt fränkisch reden und die guten starken Tuche um des modischen Flitters willen opfern mag, dann trauert der Freund und Seelsorger der Gemeinde. Denn in der Sitte liegt ein Damm gegen Neuerung und ihre Unsitte, gegen das verhängnisvolle und verheißungslose Tasten, Suchen und Versuchen. Wir freuen uns, um von Höherem zu reden, wenn bei der Nennung des hochgelobten Namens das Haupt geneigt, beim Läuten der Abendglocke noch gebetet wird. Es ist mir so erquicklich gewesen – ich kann es meiner Heimat nie vergessen – als ich vor Jahren an einem Freitagmorgen in der Passionszeit durch den Altmühlgau

Empfohlene Zitierweise:
Hermann von Bezzel: Warum bleiben wir bei unserer Kirche?. Buchhandlung der Diakonissenanstalt, Neuendettelsau 1906, Seite 5. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_von_Bezzel_-_Warum_bleiben_wir_bei_unserer_Kirche.pdf/5&oldid=- (Version vom 10.9.2016)