Seite:Hermann von Bezzel - Was unser Herr Präsident am Feste der Reformation seiner Kirche zu sagen hat.pdf/9

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Werke wohl zwanzig große Bände füllen, ein Doktor, der eine ganze Fakultät in sich schließt, ein Seelsorger der suchenden Welt, darf zur Ruhe kommen. Noch einmal nahen ihm die Freunde; sein Jonas, Cölius wollen der Lehre letztes Wort, der Lebensweisheit letzten Schluß von ihm hören: „Ehrwürdiger Vater, wollet Ihr auf diesem Glauben, den Ihr geglaubt und bekannt habt, getrost sterben?“ Daß „Ja“ des Sterbenden kein sterbendes „Ja“: als die Sterbenden und siehe wir leben! Seht sein Ende an! Er ist von den Verheißungen der Gottestreue für’s Alter getragen: Ich will heben, tragen, erretten. Wer so stirbt, der stirbt wohl. – „Bitten Sie Gott, hat vor 60 Jahren der große Erlanger Theologe dem großen Gegner Luthers, Hofmann an Döllinger, geschrieben, daß Er Ihnen einst solch ein Ende schenke.“

 Wir sehen das Ende und folgen nach nicht in sklavischer Nachahmung, nicht in wohlfeiler Einschwörung auf jedes Wort und auf äußere Weise. Luther sagt einmal: Wer Christum wollte nachahmen, ein selbiger müßte sich Nägel in Hände und Füße lassen schlagen und ans Kreuz sich heften lassen. Der Herr will nicht, daß wir in Ärmlichkeit Zug um Zug Ihm ablauschen, was uns ja doch nicht gelänge, sondern unser Kreuz Ihm nachtragen, gesinnet sein, wie Er war. – Wir wissen bei Luther kein liber conformitatum zu schreiben, die wohl 50 Ähnlichkeiten mit Christo, aber wir sehen seine Treue und ehren seine Ernstlichkeit, wissen ihn von Jesu heilig gesprochen durch den Rechtfertigungsprozeß der Gnaden, der alle Sünden vergibt, alle Gebrechen heilt.

 Wir folgen dem Glauben nach, der nicht Sammlung von Einzelbegriffen, noch Registrierung der Bekenntnisse anderer, nicht Genußleben von fremder Arbeit noch Selbstberuhigung ist. Der heilige Geist führt den Glauben in den Fortschritt, verklärt von einer Klarheit zur andern, zeigt Neues auf altem Grund, baut auf und aus. Wir sollten uns da weigern und versagen? Er ist mit 1577 und mit dem letzten verfaßten Bekenntnis unserer Kirche nicht zum Ende mit Seiner Weisheit gekommen, wie der Orthodoxismus in wohlfeiler Treue lehrt, sondern der uns Geschichte gibt, erleben und dann leben heißt, erhebt aus dem Bekenntnis der Väter die vergängliche Form und den bleibenden Inhalt: die Form mag zerbrechen, was hat’s denn für Not? Aber die Arbeit der Väter um Hebung, Bergung, Wahrung des Kleinods soll nicht vergeblich gewesen sein, denn sie war in Gott getan. Wir nähren uns von ihrer Arbeit: Glauben ist Rückkehr zu den Quellen und froher Ausblick zu den Höhen, ist haben und halten. Man schelte neue Weise nicht, wenn sie der alte Ton regiert, man tadle neue Worte nicht, wenn sie der alte Geist gebiert: wir leben, weil wir haben, wir schreiten nicht ins Unendliche fort, was ein Unding ist, aber wir schreiten hurtig weiter fort,