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uns in alle Sünde fallen, behalte uns aber an dem und in dem, den du einen Herrn über Sünde und Unschuld gesetzt hast, daß wir denselben nie verleugnen noch aus den Augen lassen“ – so muß sie leiden. Ganz ohne Vermengung mit politischen und wissenschaftlichen Fragen, in armer Dürftigkeit rein auf sich selbst gestellt, nur aus Sündenschrecken, da „wir bis auf den ewigen Tod in dem Spital gelegen“, heraus in die Erfahrung der Gnade hineingerettet, dem „Kreuz Christi, das Lästerer haben muß“, als einziger Rettung verpflichtet hat unsere Kirche die hilflose Pietät des schlichten klaren Dankes, die vor Gott darum nicht geringer erachtet wird, weil sie so wenig ausrichtet, und wiederum deshalb nicht verzagen darf, weil sie so gar nicht den Ausgang des Kampfes sieht noch vor seinen Wendungen sich zu schützen weiß. Es liegt kindliche Vertrauensseligkeit in dem Bewußtsein, daß der Herr, der den Weg der Kirche so nahe an seinen Kreuzesweg gerückt hat, auch den Ausgang in Herrlichkeit schenken oder sie mit Ehren untergehen lassen werde. So haben die Synoden und Konferenzen unserer Kirche immer etwas Unbefriedigendes. Aber dem Herrn gefällt es im Dunkeln zu wohnen, und seine Kirche muß es sich gefallen lassen, für die nächste Zukunft in Ungewißheit zu bleiben. Sie weiß nicht einmal, ob sie das Notdach über ihren Häupten und den oft so morschen Zaun, der ihre Grenzen behütet, noch lange wird behalten können. So wenig es richtig ist, mit dem Gedanken des Verfalls der Landeskirche oder deren Zersetzung sich zu beschäftigen, als ob es nicht doch ein bittres Sterben würde, wenn die Herberge in der Wanderzeit plötzlich verlassen werden müßte, und so wenig es gesund lutherisch ist, etwa die Freikirche als die einzig rettende und bewahrende Kirchenform anzupreisen, da auch ihr, weil sie das Geheimnis lutherischen Kirchentums in sich bergen will, die großen inneren Gefahren begegnen und zuwachsen werden, welche die Landeskirche – vielleicht von anderen Türen her, aber doch in derselben Art umdrohen, so richtig ist es, innerlich mit der Auflösung der Landeskirchen zu rechnen, die, wenn nicht ein unvorhergesehener Einhalt und Aufschub geschieht, eintreten wird. Was in dem Fürstentum Schwarzburg-Rudolstadt sich ereignete, ist typisch. Wenn die Partei, die keine Kirche mehr haßt als die lutherische, weil sie in keiner mehr Wahrheitsmomente gegen ihre Theorien, aber

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Hermann von Bezzel: Zeitbetrachtung. A. Deichert’sche Verlagsbuchhandlung, Leipzig 1914, Seite 8. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_von_Bezzel_-_Zeitbetrachtung.pdf/10&oldid=- (Version vom 10.9.2016)