Seite:Hermann von Bezzel - Zeitbetrachtung.pdf/14

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

meinen: Ei, so und so wollte ichs machen, und sollten wohl den Karren recht in den Kot hineinführen und gar über und über werfen, wenn wir regieren sollten. Daß uns also niemand kann recht tun, und wenn wir selber uns ansehen, sind wir selbst noch nie recht geworden“ (Predigt über I. Thess. 4, 13-18 zu Wittenberg 18. Aug. 1532 bei der Beisetzung des Kurfürsten Johann). Je länger, desto mehr wird die Auslegung der 1. Bitte, bei der unsere Väter anmerkten, daß in die Lehre das „Suspirium und herzliche Gebet“ Luthers hineingeraten, uns ins Gebet und den ernstlichen Kampf treiben: „Davor behüt uns, himmlischer Vater“, vor „andrer Lehre, denn das Wort Gottes lehrt“. Es wird und muß zur Scheidung kommen. Das Luthertum rechter Art, nicht das anstürmende und fleischlich streitende, muß von einer Auflösung seines Glaubensbestandes sich lossagen, wenn es nicht selbst sich aufgeben will. Daß diese innere Lossagung äußerlich kennbare Folgen haben wird, steht außer Zweifel. Aber wie dem Verfasser die Dinge sich geben und darstellen, werden die Bekenner der leidentliche Teil sein und, um das unleidliche, weil innerlich unwahre Nebeneinander zu meiden, auf vieles verzichten müssen, um Christi willen auch können. Nur sollen sie wohl zusehen, daß sie ein unbeflecktes Gewissen behalten, das herzliche Mitleiden mit denen, mit denen sie so gerne arbeiten möchten, aber nimmer können noch dürfen, nicht aufgeben; anerkennen, was noch anerkannt werden darf, um desto bestimmter und klarer ablehnen zu können, was nimmer getragen werden will, wenn die Bekennerpflicht, die Dankbarkeit und die Treue der Bewahrung nicht in Frage kommen sollen. Was aber den Kampf so erschwert und die Entscheidung so verlangsamt, ist die Uneinheitlichkeit und Ungeschlossenheit des sog. Liberalismus, dem man, so wie jetzt noch die Dinge liegen, geradezu Unrecht tun würde, wenn man ihm die Leugnung der Einzigartigkeit Jesu als charakteristisches Merkmal oder die Verkennung seiner ewigen Wohltat als bestimmende Sondermeinung ausprägen wollte. Es ist ein buntes Farbenspiel, ein vieldeutiges Gewebe, in das herzliche Pietät, dankbare Erinnerung, unbewußter Traditionalismus, scharfe Kritik, Gefühlswert und Verstandesurteil ihre Fäden hineinwirken. Wogegen der alte Glaube, bei dem die Gegner zu Unrecht einen ihren Anschauungen zustrebenden Zug bemerken

Empfohlene Zitierweise:
Hermann von Bezzel: Zeitbetrachtung. A. Deichert’sche Verlagsbuchhandlung, Leipzig 1914, Seite 12. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_von_Bezzel_-_Zeitbetrachtung.pdf/14&oldid=- (Version vom 10.9.2016)