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Wolke stärkender, tröstender, mahnender Zeugen, daß man das Wort der Geduld bewahren solle, damit es uns bewahre. Und angesichts der Gegenwartslage, die in Nürnberg, dem Vorort protestantischen Lebens nicht nur in Bayern, drei scharf geschiedene Parteigruppen da gezeitigt hat, wo man durch Jahrzehnte viel Lauheit und totes Kirchtum neben bewußter Ablehnung und ebenso bewußter Erfassung des Christentums zu erblicken gewohnt war, kann man ernster Sorgen nicht sich erwehren. Den geistlichen Führern und Beratern des Freiprotestantismus muß das Zeugnis gegeben werden, daß sie religiöse Bewegung und Beweglichkeit erweckten, Kirchen füllten und voll zu erhalten wissen, daß sie in ihrer Weise eingehende Seelsorge üben und besonders die Lehrerwelt für große Fragen zu interessieren verstanden. Die beliebten, aber auch zu fürchtenden Umfragen, die durch Gewinnung eines Querdurchschnittes ein geschichtliches Urteil zu vermitteln suchen, aber gewiß der Gefahr der Einseitigkeit nicht entgehen, weil schon die Erkundung nach der Stellung zu einer aktuellen Frage für diese Stimmung macht, vollends weil das, was tolerieren will, gern aus Toleranz hinter dem zurücktritt, was toleriert werden soll, und der eigene Standort in Erfassung der fremden leicht zerbröckelt, – diese Umfragen haben dem Freiprotestantismus viele von ihm gewiß reichlich zu verwertende Anerkennungen zugeführt. Daneben will eine Gruppe in der Stille vermitteln, im Kampfe mäßigend, in der Schärfe der Gegensätze mildernd wirken, Gemeinschaft, wo sie noch denkbar und ausführbar ist, ermöglichen, während die Bekenntnisfreunde, die eigentlich das Kirchenvolk vertreten und durch dieses überflüssig gemacht sein sollten, dem Modernen gleich durch Vorträge, Versammlungen, Besprechungen für das umdrohte Kirchengut treu und ernst eintreten. Wem äußerlich die Zukunft des Protestantismus in Nürnberg gehören wird, ist unschwer zu sagen. Der Mittelpartei s. v. v. keinesfalls, äußerlich kaum dem Bunde der Bekenntnisfreunde, die schon um deswillen schwer Eingang finden, weil sie mit ihren Kirchenoberen nicht kirchenpolitisch, aber von Herzen eins sind. Denn nach dem Sinne des Kirchenliberalismus ist das Kirchenregiment nicht befugt, in die Fragen der Einzelgemeinden einzugreifen, und gilt es als ganz unevangelisch, Glaubensbekenntnisse für den Einzelnen zu normieren, als ob es das wollte; seine Funktionen seien vielmehr rein äußerliche, verwaltungsmäßige,

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Hermann von Bezzel: Zeitbetrachtung. A. Deichert’sche Verlagsbuchhandlung, Leipzig 1914, Seite 16. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_von_Bezzel_-_Zeitbetrachtung.pdf/18&oldid=- (Version vom 10.9.2016)