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verschuldeten Grundes. Das Leben als Roman und der Roman des Lebens treten in den Magdalenien so hart an die Diakonissen heran, die Wegwerfung des Gottesglaubens, sodann der Gottesfurcht und der Selbstzucht erscheint so begreiflich, so naturhaft, die Untauglichkeit der Religion, aus dem Sumpf zu ziehen, wird so glaubhaft, daß den einzelnen der Mut zum Zeugnis wider die Sünde und für die einzige Arznei entfällt.

 Manche Anzeichen – es ist dies schon öfter angedeutet worden – lassen befürchten, was ja wohl erklärbar ist, daß die moderne Weltanschauung, wenn sie auch kaum imstande sein wird, Diakonissenhäuser zu bauen und zu erhalten, doch imstande sein kann, über die Mauern zu steigen und Eingang zu erzwingen, wo nicht freiwillig die Tore geöffnet werden. Je inniger und wahrer die Häuser ihrer Kirche, der Kirche Wohl und Wehe erleben und erfahren, desto leichter wird gerade im Frauengemüt, das in Erregbarkeit dem Neuen und in Gefühligkeit dem „Bekämpften und Bedrückten“ zufällt, die Beschäftigung mit dem lichten, katechismusfernen, gottfrohen und Sünde und Schuld anmutig bedeckenden, neuen Glauben statthaben. Man wird, weil man in der Familienhaftigkeit des Hauses es kann, den Mut haben müssen, die „Begierde nach der Zahl“ zu bekämpfen, welche aus der dinglichen Notwendigkeit so leicht erwacht, und lieber kleinere Häuser auf altem Grund als große auf wankendem zu leiten. Dabei sei die bedeutsame Frage, wie Diakonissenhäuser nicht künstlich zu verkleinern, aber weise zu teilen sind, nur angeregt: sie zu erörtern ist weder Sache dieses Aufsatzes noch dessen, der ihn schreibt.

 Fast ungezählte, wie eine geharnischte Schar aus dem Boden wachsende Fragen umgeben den Mann der Kirche. Neugestaltung des Religionsunterrichtes in der Volksschule, etwa mehr Geschichts-, weniger Katechismusunterweisung, als ob nicht beides in wahrer Wechselwirkung geschehen könnte, Behandlung der biblischen Geschichte nach dem „gesicherten“ Ergebnis moderner Forschung, als ob es gesicherte Ergebnisse in unserer Zeit der Überraschungen geben könnte, – oder sollten etwa Abraham, Joseph, Moses als ἥρωες ἐπώνυμοι gefeiert werden? Verwertung der Bibelkritik, damit man etliches über das biblische Buch wisse, nichts aus ihm. Der Religionsunterricht aus den Gymnasien, der die besten Kräfte

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Hermann von Bezzel: Zeitbetrachtung. A. Deichert’sche Verlagsbuchhandlung, Leipzig 1914, Seite 21. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_von_Bezzel_-_Zeitbetrachtung.pdf/23&oldid=- (Version vom 10.9.2016)