Seite:Hermann von Bezzel - Zeitbetrachtung.pdf/25

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

geschmückt hat, am Ufer: Ach, daß du auf meine Gebote merktest, so wäre deine Gerechtigkeit wie ein Strom und dein Friede wie des Meeres Wellen. Aber die Gottlosen wollen keinen Frieden, so haben sie ihn auch nicht.

 Um so mehr sollten diejenigen sich zusammenschließen, die in Jesu, des barmherzigen Hohenpriesters Tränen und Trauer, in seinem Mitleid, das vom Kreuz bestätigt und in ihm erfüllt wird, ihre Rettung gefunden haben, in dem menschgewordenen Erbarmen Gottes ihres Daseins Berechtigung erblicken, sich zusammentun zur ernsten Arbeit an der eigenen, zur treuen Sorge für die Seele des Volkes. Zwar an äußeren Verbindungen und Verbündnissen ist kein Mangel, – sie müssen wohl sein, solange man der Erde angehört, und dürfen sein, solange sie nicht vorherrschen und das Nebensächliche und Gegenständliche zur Hauptsache und persönlichen Lebensbedingung erheben. Aber fürbittende, fürsorgende Persönlichkeiten tun not, die, wie Luther einmal kühn, scheinbar schier unevangelisch an Melanchthon schreibt (von der Koburg 29. Juni 1530) „an unserer Statt glauben, sonst wäre keine christliche Kirche und hätte uns Christus am Ende der Welt verlassen“. –

 Es scheint eine der Endzeiten heraufzuziehen: die Gegensätze verfestigen, die Widersprüche klären sich. Und darum ists eine große Zeit. Groß auch, weil der Herr, dessen Sache uns so viel Widerwärtigkeiten und innere Not erweckt und um dessen Sache es geht, teilnahmlos, so urteilen wir, schweigt. Es ist die Offenb. 8, 1 ff. geweissagte σιγὴ ὡς ἡμίωρον. Wenn er in Wettern redet, wider Völker zeugt, Beben und Angst über die Erde sendet, mag er sonst wohl schweigen. Aber in der heiligen und heilsamen Stille hört er ohne Verzug das Flehen der Seinigen und spottet ihrer Feinde. Der im Himmel sitzt, lacht ihrer (Ps. 2, 4). „Weil nun dieser unser Fürst lacht, sehe ich nicht, warum wir weinen sollen vor ihm. Lacht er doch nicht seinet- sondern unserthalber, auf daß wir um so mehr getrost seien. Man sieht nicht, was es ist, aber Er wird’s sein, so werden wir’s sehen.“ So Luther an Spalatin. Ein viel angelaufener und gewiß viel gesegneter Evangelist unserer Tage, Pastor Keller, beklagt in seinem neuesten Buche „die Auferstehung des Fleisches“, daß die „letzten Dinge“ im akademischen Unterricht, in den Lehrbüchern (NB. nicht nur von Ritschl. Vf.), im Konfirmanden-

Empfohlene Zitierweise:
Hermann von Bezzel: Zeitbetrachtung. A. Deichert’sche Verlagsbuchhandlung, Leipzig 1914, Seite 23. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_von_Bezzel_-_Zeitbetrachtung.pdf/25&oldid=- (Version vom 10.9.2016)