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meist bei Jahren sind und nach Unterstützung und Ersatz aussehen, zum anderen weil jetzt wieder die Zahl der Theologiestudierenden in Zunahme ist, quantitativ und – qualitativ. Es ist zwar in einer politischen Zeitung, die man gerade für solche Ausführungen lieber nicht benutzt sehen möchte, nachgewiesen worden – wohl aus Kenntnis etlicher Absolutorialzeugnisse – die wissenschaftliche Tüchtigkeit der bayerischen Theologiestudierenden nehme ab. Dem kann aus umfassenderer Kenntnis entgegengehalten werden, daß in den letzten Jahren die Zeugnisse besser lauten, aber auch die Abgangszeugnisse am Gymnasium noch kein ausreichendes Kriterium für Bildung abgeben. Vier Jahre vermögen an der intellektuellen, vorab an der sittlichen Ausreifung und Bewährung viel zu fördern. Wenn Schlatter, auf dem der Segen des seligen Beck ruht, die große Aula zu seinen Kollegien benutzen muß, die wahrlich ernstes Studium und gespannte Mitarbeit erfordern, und durch ihn hauptsächlich Tübingen mit 512 Studierenden Berlin mit 483 überflügelt, wenn Erlangen unter den 17 theologischen Fakultäten wieder den vierten Platz einnimmt und der Zahl sich nähert, die es in der Blütezeit zu verzeichnen hatte, so soll das nicht einseitig gedeutet werden, da Marburg und Heidelberg auch auffällig anwachsende Frequenzen aufweisen (Marburg 1893 155, jetzt 243; Heidelberg 1893 75, jetzt 173). Aber der Hoffnung darf Raum gegeben werden, daß das eigentlich theologische Studium wieder zu Ehren komme und gepflegt werde. Und wieder darf betont werden, daß die Bibelkenntnis zunimmt, der Grundtext fleißiger studiert und,die Bekenntnisschriften mehr beachtet werden. Diese Wahrnehmung ist nicht auf Bayern beschränkt.

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 Die lutherische Kirche geht zweifellos einer schweren Sichtungszeit entgegen: sie weiß aber, je weiter der Widerspruch gegen ihre Lehre und Lehrübung sich erhebt, desto mehr sich aus dem rechten Weg, gegen den eben der Gegensatz laut wird. Wenn sie zu Konzessionen bereit wäre, würde man sie gewähren lassen – papierne Beschlüsse und Entschlüsse tun nicht weh –, weil sie aber trotzig beharrt, je mehr sie sich in ihrem innersten Wesen als Bekenntniskirche kennen lernt, der es befohlen ist, das Geheimnis des Evangeliums durch alle Widerwärtigkeiten durchzuretten, ja gerade an ihnen als echt zu beweisen – „Herr, himmlischer Vater, betet Luther, laß

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Hermann von Bezzel: Zeitbetrachtung. A. Deichert’sche Verlagsbuchhandlung, Leipzig 1914, Seite 7. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_von_Bezzel_-_Zeitbetrachtung.pdf/9&oldid=- (Version vom 10.9.2016)