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Fabel, dem μῦθος τῆς κωμῳδίας, und darum kann uns weder die tölpelhafte Travestie des umbrischen Müllerknechtes von den Φιλάδελφοι, noch die semitische Betriebsamkeit des halbierten Menanders von den Ἀδελφοί einen Begriff geben. Wohl aber erkennen wir, dass gerade unsere Zeit und unsere Cultur an Menandros ein besonderes Gefallen finden würde. Denn er ist der Spiegel einer uns verwandten Periode in der Entwickelung der Menschheit. Seine Zeit, die Zeit der διάδοχοι, nicht bloß des großen Alexandros, sondern auch des Aristoteles Praxiteles Lysippos, jene Zeit einer eminenten politischen industriellen wissenschaftlichen Regsamkeit, aber eines künstlerischen und litterarischen Epigonenthums, jene Zeit, welche die griechische Cultur bis zu der Mündung des Ganges und den Quellen des Niles trug, in den Geisteswissenschaften die minutiöseste Detailforschung, in der Naturwissenschaft die kühnsten Entdeckungen zeitigte, aber bei aller der vielgestaltigen Bildung so gründlich phantasielos und philiströs war: jene Zeit dürfte wohl in der unseren auf einen verwandten Wiederhall rechnen. „Die besten Dichter und Künstler aber, die sich in dieser Zeit berühmt gemacht haben, waren noch von dem Stamme, welcher in dem Grunde der stolzen Freiheit gepflanzt worden, entsprossen, und die Sitten des Volkes beförderten die letzte Feinheit und den auf das Höchste getriebenen Geist in den Werken des Witzes und der Kunst. Menander, der Freund des Epicurus, trat mit den ausgesuchtesten Worten, mit dem abgemessensten und wohlklingendsten Maße, mit gereinigten Sitten, in Absicht zugleich zu belustigen und zu lehren und zu tadeln, mit einem feinen attischen Salze auf die Schaubühne, als der erste, dem sich die komische Grazie in ihrer lieblichsten Schönheit gezeigt hat.“ Es sind die Worte, mit denen Winckelmann am Ende des neunten Buches der Kunstgeschichte den Dichter charakterisiert, so treffend und schön wie es nur der gigantische Mann konnte, vor dessen Prophetenauge trotz aller Verkümmerung und Entstellung die gesammte Entwickelung des hellenischen Geistes in unerreichter Klarheit lag, weil sein Auge sie in allen ihren Offenbarungen, ohne die Scheuklappen sogenannter Specialdisciplinen der Wissenschaft, weil er sie unmittelbar, ohne die Brillen litterargeschichtlicher und archäologischer Systeme, betrachtete, und eine jede Erscheinung mit historischem, also mit gerechtem Sinne in den Bedingungen ihres Werdens und also in ihrer Berechtigung

Empfohlene Zitierweise:
Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff: Der Pessimist des Menandros aus Hermes. Zeitschrift für classische Philologie Bd. 11. Berlin: Weidmannsche Buchhandlung, 1877, Seite 502. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermes_11_502.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)