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Emil Hübner (Hrgs.): Hermes. Zeitschrift für classische Philologie

unmöglich Livilla auf das J. 16 zu bringen. — Ferner ist die Mutter Agrippina, wie früher gezeigt ward (S. 250), nicht vor dem Mai des J. 14 nach längerer Trennung wieder mit ihrem Gatten zusammengetroffen; wie konnte die gleichnamige Tochter am 6. November desselben Jahres zur Welt kommen? Ein Zusammentreffen der Gatten im Winter 13/14 ist zwar nicht schlechthin undenkbar, aber nach der Lage der Sache in hohem Grade unwahrscheinlich. Endlich und vor allem verlässt Agrippina das Lager in Köln und begibt sich in das Gebiet der Trevirer, um an einem ruhigen Ort fern von dem Hauptquartier ihre Entbindung zu erwarten. Aber die Tochter Agrippina ist ja eben in Köln geboren!

Wie man sieht, ist die Verlegenheit gross. Es fragt sich, welche Abhülfe sich bietet.

Bergks Annahme, dass Tacitus über den Geburtsort der Agrippina irre, ist ohne Zweifel von allen die am wenigsten zu billigende; denn theils hebt sie von den drei Bedenken nur eins, theils ist die Angabe über den Geburtsort der Agrippina mit der Gründung der Colonie und dem Namen derselben so nothwendig verknüpft, dass nur ein Anfänger in der historischen Kritik so am gesunden Fleisch operiren konnte.

Froitzheims Unterstellung, dass Agrippina nach Beschwichtigung der Meuterei sofort wieder nach Köln zurückgekehrt sei, ist wenig besser. Auch hier bleiben von den drei Steinen des Anstosses zwei bestehen und der dritte wird in einer Weise beseitigt, dass selbst wer die Autorität des Tacitus nicht überschätzt, dagegen Einspruch erheben muss. Vergebens versucht Froitzheim sich gegen Tacitus auf Dio zu stützen. Nach dessen

Darstellung werden die Gattin und der Sohn des Germanicus von den meuternden Soldaten aufgegriffen; die Gemahlin lassen sie, da sie schwanger war, auf seine Bitte wieder los, halten aber den Sohn fest. Wie man auch über das Verhältniss dieser Erzählung zu der taciteischen urtheilen mag [1], so läuft doch jene wie diese

  1. Nach meiner Meinung ist dieser Bericht eben derselbe, welcher dem Tacitus und dem Sueton vorlag, wie Dio sich ihn in seinem trockenen Pragmatismus zurecht gelegt hat, während andererseits bei Tacitus die Schönfärberei, von der er in der Schilderung des Germanicus nicht frei gesprochen werden kann, auch hier unverkennbar obwaltet.Orant obsistunt, rediret maneret, pars Agrippinae occursantes, plurimi ad Germanicum regressi,
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Emil Hübner (Hrgs.): Hermes. Zeitschrift für classische Philologie. Weidmannsche Buchhandlung, Berlin 1878, Seite 258. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermes_13_258.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)