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Emil Hübner (Hrgs.): Hermes. Zeitschrift für classische Philologie

in der Schilderung der Meuterei bereits eine wesentliche Rolle. Dagegen mochte er dessen Geburt auf den Herbst des J. 13 bringen; dass Agrippina ihrem Gatten erst später nach Gallien gefolgt war, kann ihm unbekannt geblieben sein. Mit der Geburtszeit der Töchter aber steht die Ansetzung derjenigen des Gaius in gar keinem ursachlichen Zusammenhang. Man wird also darauf verzichten müssen das fragliche Factum als ein Corollar jenes erwiesenen Irrthums zu betrachten.

Es bleibt also wohl nur übrig in der taciteisch-dionischen Schilderung des Soldatenaufstandes im Winter des J. 14 die Schwangerschaft der Agrippina als einen falschen Zug zu betrachten, den derjenige ältere Annalist, welchem Tacitus und Dio hier folgen, in die Erzählung hineingetragen hat. Aber auf einfache Ausmalung geht er gewiss nicht zurück; so viel ich finde sind die Geschichtsschreiber dieser Zeit von dieser den älteren Annalisten so geläufigen Operation durchaus freizusprechen[1]. Vielmehr muss irgend eine reale Thatsache hier, wenn auch in falscher Verknüpfung, nothwendig zu Grunde liegen. Undenkbar ist es nicht, dass Germanicus einen solchen Vorwand gebraucht hat, um seine Gattin aus der Gewalt der Meuterer zu bringen. Dass er seinen zweijährigen Sohn in dem aufrührerischen Lager weniger gefährdet hielt als seine Gattin, ist an sich sehr begreiflich, auch wenn die Schwangerschaft nicht hinzutrat. Aber dass der Urheber dieser Relation seine Quelle in dieser Weise missverstanden und was nur Vorwand war, als thatsächlich geschehen nacherzählt haben soll, ist nicht gerade wahrscheinlich. Eher mochte sich die Vermuthung empfehlen, dass dem Annalisten, auf den diese Erzählung zurückgeht, die beiden Lagerscenen, in denen Agrippina eine Rolle gespielt hat, die Mainzer des J. 14 und die Xantener des J. 15, in der Erinnerung durch einander gelaufen sind. Wenn unsere Ansetzungen das Rechte getroffen haben, so war Agrippina nicht bei der ersten, aber wohl bei der zweiten ihrer Entbindung nahe; es erscheint nicht undenkbar, dass dieser Zug irrthümlich auf den ersten Auftritt übertragen worden ist. Gewiss ist auch dies nur ein Nothbehelf; aber wo schlechthin keine Pforte zu finden ist, muss man sich wohl entschliessen über den Zaun zu klettern.

  1. Froitzheims Combinationen in dieser Richtung (Rhein. Mus. 32 S. 348) scheinen mir ebenso verwegen wie bodenlos.
Empfohlene Zitierweise:
Emil Hübner (Hrgs.): Hermes. Zeitschrift für classische Philologie. Weidmannsche Buchhandlung, Berlin 1878, Seite 261. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermes_13_261.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)