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Vorrede seines Werkes über die attischen Redner dieselbe Lehre, die dem Cicero im Orator vorlag. Nach Alexander wäre aus einigen asiatischen Spelunken die Aftermuse hervorgekrochen, eine Phrygerin oder ein karisches Ungethüm, und hätte geherrscht, bis die in Rom centralisirte Macht dem Geschmacke der Welt den Befehl zur Umkehr und Einkehr gegeben hätte. Dionysios braucht nicht mehr zu kämpfen; der Sieg ist mittlerweile erfochten oder er darf es doch schon so darstellen. Er steht in seiner Verherrlichung des Demosthenes dem Cicero gar nicht so fern; aber er unterscheidet sich von ihm in der radicalen Verurtheilung der gesammten nachclassischen Prosa, wie er es namentlichen der Schrift über die Wortfügung ausspricht, so verschiedene Stilisten wie Duris und Polybios, Hieronymos und Hegesias in einen Topf werfend. Von ihm haben die Modernen die Anschauung, dass der Asianismus mit Hellenismus einerseits, mit corrupta eloquentia andererseits identisch wäre.

Noch im Kampfe hat der Sikeliote Caecilius gestanden, als er sein Buch κατὰ Φρυγῶν schrieb, von dem der Titel, das einzige bekannte, die Tendenz offenbart; daneben stand ein Buch τίνι διαφέρει ὁ Ἀττικὸς ζῆλος τοῦ Ἀσιάνου. Wir kennen ihn auch als einseitigen Atticisten der Art, gegen die Cicero ficht, denn sein Ideal war Lysias, während er selbst Platon ganz verwarf. Auch das passt für die Zeit des Streites, und es existirt keine Instanz dagegen, dass er diese Polemik vor Dionysios geführt und ganz wesentlich zu dem Siege beigetragen hat. Er hat auch zuerst, so viel wir wissen, ein Lexikon in dem atheistischen Sinne verfasst, dem Redner die echten Worte, die κυρίαι λέξεις zu liefern, damit die Rede wieder attisch würde. Das mag er später verfasst haben als Dionysios sein verlorenes Buch über die Wortwahl; dass der Asianismus nach dieser Seite sündigte, war schon dem Santra geläufig gewesen. Der zweisprachige Sikeliote und römische Bürger mochte sich den ‚Asianern‘ schon gesellschaftlich überlegen fühlen; der Bruch mit der Tradition ward ihm leichter, wenn er von Herkunft oder Glauben Jude war.

In der späteren Zeit des Augustus giebt es in Rom asianische Declamatoren, die uns Seneca unter diesem nun zuerst auftretenden Namen vorführt. Wie sich damals ja auch andere Attici nennen, unbeschadet ihrer gut asiatischen Herkunft. Die Asiani scheinen allerdings auch der Abstammung nach Asiaten, und wenn einer,

Empfohlene Zitierweise:
Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff: Asianismus und Atticismus. In: Hermes. Zeitschrift für classische Philologie Bd. 35. Berlin: Weidmannsche Buchhandlung, 1900, Seite 5. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermes_35_005.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)