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Jugendbildung, ebenfalls, damit ein Geschlecht heranwüchse, das sich ein neues besseres Leben zimmerte. Sie wollte in dem Anschauen der durch eigene Arbeit erschlossenen Wahrheit auch einen höheren ästhetischen, Genuss erschliessen, als es die ‚Nachahmungen‘ der Poesie gewähren konnten. In Platon und Isokrates stehen sich diese beiden Mächte in scharfem Gegensätze gegenüber. Platon negirt diese Welt: er negirt auch die Rhetorik. Aristoteles will die Wissenschaft fähig machen in dieser Welt zu herrschen: er macht sich auch die Rhetorik dienstbar. Zunächst bedeutet das den vollkommenen Sieg, und die Sophistik hat sich eine Weile verkriechen müssen. Aber Wissenschaft, die durch individuelle Arbeit errungen, wird, lässt sich nicht als Massenartikel produciren und selbst das Bedürfniss und die Nachfrage, kann die Production von wissenschaftlich wirklich befähigten Denkern und Lehrern nicht hervorrufen. Die allgemeine Bildung dagegen kann ihre Bettelsuppen in jeder erforderlichen Portionenzahl kochen; die Suppe wird höchstens etwas dünner. Als nun durch Alexander die hellenische Welt so ungeheuer erweitert ward, fand der Rhetor weite Strecken, wo ihm der Philosoph noch keine Concurrenz machte. Und in den autonomen Städten Asiens gab es noch Jahrhunderte lang eine Art municipalen und selhst politischen Lebens, in dem die alte politische Beredtsamkeit praktisch nicht entbehrlich war. Vollends aber in der schönen Litteratur hatte Aristoteles selbst, ein Bewunderer des isokrateischen Kunstwerkes, der Rhetorik sehr weite Concessionen gemacht. Sein Freund Theodektes war ein rhetorischer Tragiker, seine Schüler Demetrios und Kallisthenes und Doris wandelten stilistisch in den Bahnen der Rhetorik. Absurder als Klearchos von Soloi kann kaum ein ‚Asianer‘ gewesen sein. Das 3. Jahrhundert sieht die Einzelwissenschaften sich von der Philosophie emancipiren, die dadurch an Macht zunächst nicht einbüsst, aber in dem dialektischen Kriticismus des Arkesilaos und dem scholastischen Dogmatismus des Chrysippos Methoden ausbildet, deren sich auch die Scheinwissenschaft der Rhetorik bedienen kann. Grosse Kunstwerke werden nicht erzeugt; Arkesilaos verschmäht die Schrift, Chrysippos ist aus dem Princip des Professorendünkels langweilig und geschmacklos. Beide mögen die Rhetoren so über die Achsel angesehen haben, wie wir es von Epikuros wissen, von allen Philosophen der Diadochenzeit annehmen dürfen. Aber als am Ende des 3. Jahrhunderts auf allen Schulthronen unbedeutende

Empfohlene Zitierweise:
Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff: Asianismus und Atticismus. In: Hermes. Zeitschrift für classische Philologie Bd. 35. Berlin: Weidmannsche Buchhandlung, 1900, Seite 16. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermes_35_016.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)