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zu dem sich vor Augustinus ein Römer aufgeschwungen hat, und gewiss hat Philon so durch Cicero ungemein viel Segen gewirkt. Aber es war doch ein Abfall von Platon, wenn der Akademiker der Rhetorik in seiner Schale einen so breiten Raum uberliess, und den Vortheil hat schliesslich nicht die Wissenschaft und demnach auch nicht die Erziehung der Jugend gehabt. Denn wenn sein Schüler Cicero die letzten Lebensjahre darangesetzt hat, der Philosophie in seinem Volke eine Stätte zu bereiten, so hat das keinen Fortgang gehabt. Die vornehmsten Geister der nächsten Generation, Augustus, Vergil und Horaz sind tief von der Philosophie durchtränkt, von der Rhetorik unverdorben; aber dann bricht sie herein und beherrscht auf alle, Zeit Poesie und Leben. Man braucht nur Seneca und etwa Ovid dabei zu lesen, um zu sehen, wie die Rhetoren, die sich nun in Rom festsetzten, der römischen Stilentwicklung den Weg gewiesen haben. Es ist gewiss richtig, dass die romische Litteratur bis auf ihren Meister Seneca uns stilistisch die hellenistische ‚asianische‘ Weise am besten zeigt. Die Philosophie dagegen ward ganz zurückgedrängt, ja sie begann nun die unheilvolle Wendung, sich der Feindin anzubequemen. Vielleicht schon Areios, sicherlich Papirius Fabianus, der Lehrer Senecas, sind halb Philosophen, halb Rhetoren, wie später Dion und Favorin. Und in dem Mischling pflegt das schlechtere Element das Uebergewicht zu haben. Von jetzt ab ist die Rhetorik thatsächlich in der Jugendbildung das Fundament für altes. Das zeigt z. B. Theon,[1] und solche Progymnasmen wie er sie vorschreibt,


  1. S. 70 ἀναγκαῖον ἡ τῶν γυμνασμάτων ἄσκησις οὐ μόνον τοῖς μέλλουσι ῥητορεύειν ἀλλὰ καὶ εἴ τις ἤ ποιητῶν ἤ ἤ λογοποιῶν ἤ ὄλλων τινῶν λόγων δύναμιν ἐθέλει μεταχειρίζεσθαι. ἐστι γὰρ ταῦτα οἱονεὶ θεμέλια πάσης τῆς τῶν λόγων ἰδέας. Man vergleiche auch die Definition des Rufus (I 462 Sp.) mit den älteren, die man bei Sextus und Quintilian 2, 15 findet: ἡ ῥητορική ἐστιν ἐπιστήμη τοῦ καλῶς πειστικῶς πάντα τὸν προκείμενον διαθέσθαι λόγον. Die Beschränkung auf die πολιτικά, die noch Theodoros festhielt (Quint. 2, 15, 21), ist aufgegeben, die universale Geltung direct behauptet. Eine ebenso weite Definition, die Quintilian missbilligt, rührt nach den Handschriften 2, 15, 16 von Eudoros oder Theodoros her; der Urheber und die Tendenz sind ungewiss.
Empfohlene Zitierweise:
Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff: Asianismus und Atticismus. In: Hermes. Zeitschrift für classische Philologie Bd. 35. Berlin: Weidmannsche Buchhandlung, 1900, Seite 19. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermes_35_019.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)