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hat fortan jeder Knabe verfertigt. Endlich ist es ein Römer, Quintilian, der diese neue erhabene Rhetorik in einem vielbändigen Lehrgebäude darstellt, wie Arnim sehr wahr ausspricht, trotz allem Anschlusse an Cicero in ganz anderem Sinne: die Philosophie ist zu einem ἐγκύκλιον παίδευμα herabgesunken; man macht auch einmal einen Cursus in ihr durch, aber die Bildung des Lebens ist durch die Rhetorik fundirt, und nur auf diesem Fundamente baut das Leben weiter. Mehr konnte auch ein Aristides nicht verlangen. Er muss freilich noch kämpfen, denn unter Griechen konnte äusserlich die Philosophie nicht verleugnet werden, deren trivialisirte Doctrinen bekannt blieben, wie sie etwa Lukians βίων πράσις zeigt[1]; sie erhielt jetzt gerade staatliche Unterstützung, was ihr nichts half, aber bezeichnender Weise jetzt nothwendig schien. Das Standardwerk der Epoche aber waren die Reden des Aristides gegen Platon, auf die keine entsprechende Antwort erfolgt ist. Es war wirklich ein vollkommener Umschlag erreicht, seit Platon den Gorgias schrieb. Das Salz der Welt war dumm geworden, der Untergang der Cultur war besiegelt, denn die allgemeine Bildung hatte über die Wissenschaft triumphirt. Aber wer wollte es den Journalisten verdenken, wenn sie sich stolz als die Besitzer der Weisheit proclamirten; die Welt glaubte ihnen ja.

Die Continuität, die wir verfolgt haben, ging vor Allem durch die Schule, in der die Tradition nie abreisst und die über alle ihre Macht ausübt, die sie besuchen. Damit hängt die unablässige Neubearbeitung der Lehrbücher zusammen, die gerade in dieser ständigen Metamorphose ihre Consianz beweisen. Wir müssen uns schon freuen, dass die Byzantiner neben Aphthonius und anderen Spätlingen wenigstens Hermogenes erhalten haben, und aus älterer Zeit ein und das andere Stück: aber immer nur aus der Kaiserzeit, von der wir bis auf Aristoteles[2] zurückspringen müsstten, wenn die Lateiner nicht wären, die uns wenigstens ein Lehrgebäude der rhodischen Schule und einigermaassen die Grundzüge des Hermagoras


  1. Diese äusserliche Kenntniss und das Fortleben in den engen Fachkreisen täuscht leicht; aber man bedenke, wie tief ein so wissenschaftlicher Mann, wie Ptolemaios, trotz Philosophie im cruden Aberglauben steckt, wie unwissenschaftlich am letzten Ende Galen trotz aller philosophischen Fundirung seiner Kunst ist.
  2. Auf den die Rhetorik an Alexander ging, die übrigens keine praktische Geltung hatte.
Empfohlene Zitierweise:
Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff: Asianismus und Atticismus. In: Hermes. Zeitschrift für classische Philologie Bd. 35. Berlin: Weidmannsche Buchhandlung, 1900, Seite 20. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermes_35_020.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)