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Gracchenzeit ihren Einzug gehalten,[1] ihnen hat sich auch Cicero nicht entzogen, dessen von Tacitus verspottetes esse videatur eine solche ist, und sie regieren bei Seneca, obwohl der die εἰρομένη vorzieht, und weiter bei Cyprian und noch lange, als im Griechischen die Quantität überhaupt aufgegeben ist.[2] Also ist freilich die romische Rhetorik ohne jede Unterbrechung von der hellenistischen Tradition beherrscht worden; wenn man das asianisch nennen will, mag man’s thun. Aber für die griechische Prosa gilt das nicht. Das zu beweisen reichen die Partien in Nordens Buch hin, die für die entgegengesetzte Behauptung geschrieben sind.[3] Denn wenn er keinen einzigen namhaften Schriftsteller anzuführen hat, so sollten die Exempel, die er aufgetrieben hat, der Brief des Ptolemaios an Flora, Favorins korinthische Rede, und ein paar Phrasen aus Philostrat, vielmehr beweisen, dass die Bevorzugung der an sich daraus ernsten und durch Demosthenes und Aristoteles empfohlenen Rhythmen in ein paar Reden, zu denen gar noch die Monodie des Aristides gerechnet wird, alles andere als neoterisch gemeint war. Wenn aber die gewaltigen Massen slilisirter Rede, Philon, Plutarch, Aristides, Maximus, Dion, Philostratos so wenig boten, so ist zu constatiren, dass die Tradition abgerissen war. Nicht die Rhythmen überhaupt sind verboten, höchstens die κεκλααμένοι, die denn auch fehlen, sondern die Eintönigkeit: und die Imitation der Attiker hat die Weise des Demosthenes und Isokrates wiederhergestellt. Der grosse Gegensatz zwischen silberner Latinität und gleichzeitigem Griechisch in den Rhythmen ist der sinnfällige Erfolg des Atticismus.[4]



  1. Marx Rhet. ad Her. 99.
  2. Was in Athen schon gegen 300 geschehen ist, vgl. in dies. Ztschr. 34, 217.
  3. II, 918. Den Citaten der Historiker des Verus bei Lukian hört Norden wohl zu viel beabsichtigte Rhythmen ab; jedenfalls sind jenem nicht die Rhythmen anstössig, sondern die allerdings albernen homerischen Vocabeln. I, 413, wo eine Anzahl hochpathetischer Stellen der philostratischen Rhetoren rhythmisch analysirt werden, was sehr dankenswerth ist, kommt gewiss manche Klingelei heraus, die unausstehlich ist, aber die specifisch ‚asianischen‘ Klauseln wiegen gar nicht vor. In dem Decret aus Aesos (II, 920) ist der Schluss altformelhaft, also nicht rhythmisch neu stilisirt; im Anfang ist –⏑––– fein beobachtet, so dass ich εὕρηκεν ὁ κόσμος nicht als Adonius, sondern mit Elision als Ditrochaeus sprechen möchte.
  4. Der Raum verbietet mir, Proben zu geben; gern würde ich die Freiheit an π. ὕψους zeigen, in dem allerdings weil kein einseitiger Atticismus, [38] ein gutes Theil Tradition steckt. Ein Böswilliger könnte manche Clauseln asianisch nennen wollen. Ein seitsames Stück Rhetorik derselben Zeit ist die jüdische Rede π. αὐτοκράτορος λόγου, die Norden I 416 gegen Freudenthal, dem ich früher gefolgt war, richtig würdigt; sie kann um des Inhaltes willen nur vor Caligula entslanden sein: die Judenhetze ist nicht actuell, viel eher Gefahr, dass die Juden transigiren. Auch sprachlich urtheilt hier Norden ganz zutreffend: es ist reines Hellenistisch, s. g. Asianisch, wohl das jüngste Specimen der Art. Rhythmen kennt der Verfasser nicht, so sehr er in gorgianischen Figuren schwelgt. Freudenthal hat ihn maasslos überschätzt. Das dritte Makkabäerbuch kann in seinen rhythmischen Theilen (vgl. in dieser Zeitschr. 34, 635) kaum jünger als Aristeas sein.
Empfohlene Zitierweise:
Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff: Asianismus und Atticismus. In: Hermes. Zeitschrift für classische Philologie Bd. 35. Berlin: Weidmannsche Buchhandlung, 1900, Seite 37. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermes_35_037.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)