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allgemeine Sprache, und lebt in den altchristlichen Schriften dieselbe fort, ungetrübt durch den Atticismus, so dass ihr Gegensatz zu der gleichzeitigen gebildeten Litteratur eben den zwischengetretenen Atticismus beweist.[1] Seit wir nun theils auf die zersplitterten Reste hellenistischer Rede besser achten, theils auf Stein und Papyrus immer neue Documente auftauchen, kann man ja gar nicht verkennen, dass die augusteische Zeit einen Einschnitt macht. Und wer will, kann gerade periphrastische Ausdrücke, die den hellenistischen Stil so ungefüge und breit machen, und saftlose Neubildungen in Masse aufzeigen, die später beseitigt worden sind. Mit einem Schlage ging das freilich nicht; es war den atheistisch Gesonnenen gar nicht sofort bewusst, wie vieles sie im Munde führten, was der sehr exclusive Geschmack der attischen Rede des 4. Jahrhunderts verschmäht oder nicht gekannt hätte. Man darf sich also nicht wundern, wenn Dionysios in seiner Geschichte uns oft dem Polybios näher zu stehen scheint als dem Cassius Dio, dessen Griechisch ein Pelz von altattischem Allerleirauch ist. Plutarch, der dem puristischen Atticismus unfreundlich gesonnen ist, klingt schon weit attischer als Dionysios. Das ist der Erfolg der Schule, die mittlerweile die Kinder schon an diese Vorbilder ausschliesslich gewohnte und längst über lexicalische Hilfsmittel gebot: Caecilius hatte ja das erste atheistische Lexicon verfertigt. Nordens sogenannte Neoteriker der Kaiserzeit schreiben freilich ein eben so buntes Griechisch wie Hegesias in dem Bruchstücke seiner Geschichte oder Antiochos von Kommagene; gleichwohl ist es eine ganz andere Buntheit. Der hellenistische Rhetor bedient sich gemachter Wörter; er ist frei; er wird auch aus dem Sprachschatze des Volkes etwas aufgreifen, wo es bezeichnend ist, auch ein poetisches,


  1. Sehr fein hat Norden die sprachliche Modernisirung, d. h. Atticisirung im Lucasevangelium gezeigt, wie denn die Partie über den altchristlichen Stil wohl die bedeutendste des Buches ist.
Empfohlene Zitierweise:
Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff: Asianismus und Atticismus. In: Hermes. Zeitschrift für classische Philologie Bd. 35. Berlin: Weidmannsche Buchhandlung, 1900, Seite 39. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermes_35_039.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)