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der Antiquar Polemon unter sich und vollends mit dem Classicismus gemein haben sollten. Auch der Stil der pergamenischen Reliefs ist wahrlich dem Asianismus verwandter, als den neuattischen Reliefs, die freilich classicistisch anmuthen. Als dann statt der Könige römische Proconsuln oder gar Mithradates in Pergamon sitzen, da ist es ausgeschlossen, dass dort überhaupt noch eine Schule der Grammatik oder irgend einer Disciplin blühe; die Römer gehen auch nicht dorthin studiren.[1] Es ist eine asiatische Stadt zweiten Ranges. Nur Rhodos ist im Osten noch ein Ort von allgemeiner Bedeutung. Dort sitzt der universale Gelehrte der Zeit, Poseidonios, von dort verbreitet sich die Grammatik, die allein als wissenschaftlich gelten kann, die alexandrinische, dort blüht auch die Rhetorik, die sich eben aus Asien dorthin zieht. Aber es ist eine kaum fassbare Verkehrtheit, dort von Atticismus zu reden, trotz Poseidonios und Molon, trotz der Stellung des Dionysios zu den Rhodiern, und trotz dem, dass eben dort Theodoros der Gadarener gewirkt hat, der Lehrer des Schriftstellers π. ὕψους,[2] der gegen den exclusiven Attiker Caecilius Front macht. Theodoros und seine Schule vermittelt gerade die Tradition des Hellenismus an die Sophisten der Kaiserzeit. Noch viel weniger Bedeutung hat das nach der definitiven Zerstörung von Delos durch die Seeräuber gänzlich verarmte Athen. Die Misere wird durch die athenischen Inschriften und Monumente ganz ebenso erläutert wie durch Ciceros Correspondenz. Dieser lässt freilich seinen Sohn dort studiren, aber der Peripatetiker Kratippos ist der Einzige, der auch nur in der Philosophie ein wenig zu bedeuten hat. Horaz hat seiner athenischen Studienzeit mit der Pietät, die dem heiligen Orte, und mit der Wärme, die der frohen Jugend und ihren Thorheiten gilt (bei ihm waren es griechische Verse), gern gedacht: aber kein Professor hat auf ihn gewirkt.



  1. Es gab auch einen Zeitgenossen des Apollodoros, der aus Pergamon stammte und ‚asianischer Rhetor‘ war, Isidoros: das zeigt das Citat bei Rutilius II 16 mit Ruhnkens Anmerkung. Er war auch als Rhetor Feind der Philosophen.
  2. Ich muss auf das nachdrücklichste behaupten, dass dieser seine Schülerschaft mit dem Imperfect Θεόδωρος ἐκάλει (4) selbst angiebt, und dass in der Doctrin und der Sprache alles auf diese Zeit, sagen wir 20–50 n. Chr., führt. Die Zeit der Flavier halte ich für ausgeschlossen. Von Longin braucht man nicht mehr zu reden. Aus der Zeit Zenobias ist die Schrift, wenn Petron aus der des Severus Alexander ist.
Empfohlene Zitierweise:
Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff: Asianismus und Atticismus. In: Hermes. Zeitschrift für classische Philologie Bd. 35. Berlin: Weidmannsche Buchhandlung, 1900, Seite 49. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermes_35_049.jpg&oldid=- (Version vom 3.10.2018)