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zunächst fällt, in ihrem Rechte anerkannt werden,[1] das doch das beste ist, das Recht des Lebendigen. Dem kommenden Jahrhundert der Philologie fällt als eine grosse und schöne Aufgabe die Erschliessung der hellenistischen Jahrhunderte zu, in jeder Beziehung; nur das Verständniss der hellenistischen Philosophie wird ihm von dem scheidenden bereits übergeben. Aber auch, so weit sie die Sprachen und einige Werke des Alterthums in der Schule zur Bildung unserer Knaben verwendet, darf die Philologie nicht vergessen, dass es zwar Classicismus gewesen ist, der die Griechen in den Jugendunterricht erst wirklich eingeführt hat, dass sie aber diese Stellung nicht zu behaupten verdienen, wenn sie diesem überwundenen Geiste dienen sollen. Nicht μίμησις, sondern ζῆλος ist das wahre, und nicht wie sie den Classicisten der augusteischen oder der goethischen Zeit erschienen, sondern wie sie im lebendigen Lichte ihres Tages lebten, gar nicht als Classiker, sondern in heissem Kampfe strebend und irrend, wie irrend und strebend die Wissenschaft sie in heissem Kampfe immer wahrer und lebendiger erfassen lehrt, werden die grossen und ganzen Menschen Asiens und Athens nimmer die Kraft verlieren, den Geist zu befreien und die Seele zu erheben, mit jener ewig jungen und verjüngenden Kraft, die allein das Lebendige besitzt. Diesem Lebendigen kann und wird die Philologie weiter dienen, fröhlich und siegesgewiss; ihre Todten müssen die Todten begraben.

Westend.

U. v. Wilamowitz-Möllendorff.

Anmerkungen

  1. So habe ich mich nicht gescheut, das Grenfellsche Lied schön zu finden, das ich des Mädchens Klage getauft habe. Ich kann nicht anders sagen als dass diejenigen, welche gar das Lied darin zu verkennen fortfahren, den Bann des Classicismus noch nicht los sind, in dem wir alle aufgewachsen sind.
Empfohlene Zitierweise:
Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff: Asianismus und Atticismus. In: Hermes. Zeitschrift für classische Philologie Bd. 35. Berlin: Weidmannsche Buchhandlung, 1900, Seite 52. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermes_35_052.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)