Seite:Historische Zeitschrift Bd. 001 (1859) 113.jpg

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sich zum reinen Werkzeug der allgemeinen Gesetze, zur Darstellung eines allgemeinen Begriffs läutere. Ein solcher wird daher auch im Staate nicht darauf ausgehen können, die Rechte der Einzelnen mit denen der Gesammtheit versöhnend zu vermitteln, jene werden vielmehr in seinen Augen, dieser gegenüber, gar kein Recht haben, es wird ihnen nur die Wahl übrig bleiben, entweder auf alle Privatinteressen zu verzichten und sich, also befähigt, in den Dienst des Gemeinwesens zu stellen, oder sofern sie dieß nicht wollen, den politischen Rechten und der politischen Wirksamkeit zu entsagen. So hängen hier die politischen und gesellschaftlichen Einrichtungen an den ersten Anfängen des Systems. Die Bedeutung der Individualität, die unendliche Mannigfaltigkeit und Bewegung des wirklichen Lebens verkannt zu haben, dieß ist der schon von Aristoteles scharf bezeichnete Grundfehler der platonischen Metaphysik und des platonischen Socialismus.

Doch hierüber ist auch schon anderswo und von Anderen gesprochen worden, und nach dieser Seite hin scheint sich über den platonischen Staat unter den Sachverständigen mehr und mehr eine allgemeine Uebereinstimmung zu bilden. Geringere Beachtung hat bis jetzt das Verhältniß gefunden, in welchem derselbe zu den Theorien und den Zuständen der Folgezeit steht. Dieser Gegenstand soll daher hier in genauerer Ausführung der kurzen Andeutungen, welche ich an einem andern Orte hierüber gegeben habe, besprochen werden.

Was in dieser Beziehung unsere Aufmerksamkeit zunächst auf sich zieht, das sind die merkwürdigen Berührungspunkte zwischen dem platonischen Staatsideal und dem, was sich später in der altchristlichen Welt aus kirchlichem und staatlichem Gebiete gestaltet hat. Gleich der Grundgedanke der platonischen Staatslehre hat mit der Idee der christlichen Kirche auffallende Aehnlichkeit. Der Staat ist nach Plato seiner eigentlichen Bestimmung zufolge nichts anderes, als eine Darstellung und ein Hilfsmittel der Sittlichkeit; seine höchste Aufgabe besteht darin, seine Bürger zur Tugend und ebendamit zur Glückseligkeit zu erziehen; ihren Sinn und ihr Auge einer höheren, geistigen Welt zuzuwenden, ihnen jene Seligkeit nach dem Tode zu sichern, welche sich am Schlusse der Republik in großartigem Ausblick als der Gipfel alles menschlichen Strebens darstellt. Es liegt am Tage, wie nahe dieser Staat dem

Empfohlene Zitierweise:
Eduard Zeller: Der platonische Staat in seiner Bedeutung für die Folgezeit. In: Historische Zeitschrift Bd. 1. Literarisch-artistische Anstalt der J. G. Cotta’schen Buchhandlung, München 1859, Seite 113. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Historische_Zeitschrift_Bd._001_(1859)_113.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)