Seite:Historische Zeitschrift Bd. 001 (1859) 122.jpg

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fragen, ob dieß die Früchte der Philosophie seien, ja er würde Grund genug haben, hinzuzufügen, wo denn für die Meisten, neben den hundert Specialitäten, die ihre Zeit ausfüllen, die Philosophie selbst, die Einheit und der Zusammenhang aller Wissenschaft bleibe; davon nicht zu reden, daß er von unseren vier Fakultäten die drei oberen als solche streichen würde: denn eine Theologie, die etwas anderes, als Philosophie sei, würde er Mythologie nennen, und was die Jurisprudenz und Medicin betrifft, so ist er der Meinung, Rechtsstreitigkeiten würden in seinem Staat keine vorkommen, und für die Krankheiten werden wenige Hausmittel genügen: wem damit nicht zu helfen sei, den möge man getrost sterben lassen, da es sich nicht verlohne, sein Leben in der Pflege eines siechen Körpers hinzuschleppen. Aber dieß thut der Thatsache keinen Eintrag, daß er doch schon manche von den Zielen in’s Auge gefaßt hat, welche die Neuzeit, in ihrer Art freilich und mit anderen Mitteln, verfolgt. So liegen auch Plato’s Bestimmungen über die Erziehung und die Beschäftigung des weiblichen Geschlechts zwar von unsern Begriffen und Gewohnheiten weit genug ab; denn für uns freilich nimmt sich die Forderung seltsam aus, daß die Frauen Staatsämter begleiten und mit zu Felde ziehen sollen, sei es auch nur (wie er einmal vorsichtig beifügt) in der Reserve; auch ein strengerer wissenschaftlicher Unterricht derselben wird trotz aller Schriftstellerinnen und gelehrten Damen, die wir besitzen, schwerlich je eingeführt werden, und wenn die Gymnastik in den weiblichen Erziehungsanstalten immerhin einen nützlichen Unterrichtsgegenstand bildet, so würden wir uns doch an der platonischen Voraussetzung, daß sie in derselben Weise betrieben werde, wie in Griechenland unter den Männern, mit Recht stoßen, und uns mit Plato’s Auskunft, daß die Bürgerinnen seines Staats statt seines Gewands in ihre Tugend gehüllt seien, nicht begnügen. Aber indem er, als einer der Ersten, einer sorgfältigen Erziehung des weiblichen Geschlechts, seiner geistigen und sittlichen Bildung, seiner wesentlichen Gleichstellung mit dem männlichen das Wort redet, geht Plato über die Sitte und die Ansicht seines Volks ebensoweit hinaus, als er sich der unsrigen annähert. Auch das erinnert ganz an moderne Zustände, wenn er für alle Gedichte, Schauspiele, Musikstücke und Kunstwerke eine Censur eingeführt wissen will, oder wenn er in

Empfohlene Zitierweise:
Eduard Zeller: Der platonische Staat in seiner Bedeutung für die Folgezeit. In: Historische Zeitschrift Bd. 1. Literarisch-artistische Anstalt der J. G. Cotta’schen Buchhandlung, München 1859, Seite 122. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Historische_Zeitschrift_Bd._001_(1859)_122.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)