Seite:Historische Zeitschrift Bd. 001 (1859) 124.jpg

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nach allgemeiner und gleichmäßiger Theilnahme an den Genüssen des Lebens, was die Unzufriedenheit mit den bestehenden Zuständen erzeugt und die Ideale hervorruft. Plato will das Privatinteresse aufheben, seine modernen Nachfolger wollen es befriedigen; jener strebt nach Vollkommenheit des Ganzen, diese nach Beglückung der Einzelnen; jener behandelt den Staat als Zweck, die Person als Mittel, diese die Personen als Zweck, den Staat und die Gesellschaft als Mittel. Die meisten unserer Socialisten und Communisten sprechen dieß offen genug aus: möglichst viel Genuß für den Einzelnen, und deßhalb gleich viel Genuß für Alle ist ihr Wahlspruch. Aber wenn auch die Schlagwörter bei Einzelnen anders lauten, die praktischen Vorschläge selbst zeigen zur Genüge, auf was es in letzter Beziehung abgesehen ist; mag man auch von Brüderlichkeit reden: wenn diese im Communismus bestehen soll, so liegt am Tage, daß es sich nicht sowohl um die Erfüllung einer Pflicht handelt, als um die Befriedigung eines Wunsches; mag man auch gegen den Individualismus der Zeit zu Felde ziehen, wie St. Simon: die Rehabilitation des Fleisches ist nicht der Weg, ihm zu steuern. Die Glückseligkeit der Einzelnen ist es, auf welche hier Alles berechnet ist, und schon der Vater dieser ganzen Literatur in der neueren Zeit, Thomas Morus, hat dieß ausgesprochen; denn ausdrücklich bezeichnet er die Lust als den höchsten Zweck unserer Thätigkeit, und wie sehr er im Uebrigen Plato folgen mag, sein ethisches Princip ist eher epikuräisch, als platonisch. Weiß doch selbst ein so strenger Moralphilosoph wie Fichte, seinen „geschlossenen Handelsstaat,“ bei aller Unausführbarkeit doch vielleicht das beste und jedenfalls eines der besonnensten unter den socialistischen Staatsidealen, nur mit dem Satz zu begründen, daß Jeder so angenehm leben wolle, als möglich. Wir sind weit entfernt, dieß den modernen Theorien sofort zum Vorwurf zu machen: der Gesichtspunkt, von dem sie ausgehen, ist in seinem Grunde wahr und berechtigt, wenn er auch nicht die ganze Wahrheit enthält, und durch Uebertreibung nicht selten zu viel Verkehrtem geführt hat. Doch wie dem sein mag: der Werth oder der Unwerth jener Theorien soll hier nicht untersucht werden, sondern wir verweisen nur deßhalb auf ihre allgemeinere Tendenz, um ihr Verhältniß zum platonischen Staat zu beleuchten. Dieß ist aber in letzter Beziehung das gleiche, welches

Empfohlene Zitierweise:
Eduard Zeller: Der platonische Staat in seiner Bedeutung für die Folgezeit. In: Historische Zeitschrift Bd. 1. Literarisch-artistische Anstalt der J. G. Cotta’schen Buchhandlung, München 1859, Seite 124. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Historische_Zeitschrift_Bd._001_(1859)_124.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)