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DER DRUIDE

Du gabst mir eine herbstliche Verbene
Als ich dich um die heil’ge Mistel bat,
Nach der ich mich mein ganzes Leben sehne,
Ich, der im Kleid des Barden vor dich trat.

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Blau wie der Himmel zu der Götter Ruhme,

Blau wie dein Auge war mein Sängerkleid –
Du aber gabst mir die Druidenblume,
Die mich nun der Entsagung weiht.

Das Bild des Mondes über jungen Nächten,

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Es zeigte mir im Traum mein letztes Glück –

Nun aber huldigt es den ewigen Mächten
An meinem Priesterstab als Krönungsstück.

Du ließest eins – ich kann noch für dich beten
Wenn über die Bretagne der Sturmwind flieht,

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Wenn unsre Menhirs klingen, daß die Steine reden,

Wenn durch die Nacht der Wahnsinn zieht –

Kennst du die Nächte ohne Ruh und Ende,
Die Nächte, schauerlicher als das Grab –
Wenn wir voll Haß und Wut die Hände

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Zum Schicksal heben, das dies Leben gab?


Du gabst mir eine herbliche Verbene
Als ich dich um die heilge Mistel bat –
Nun kommt die Nacht, soviel ich mich auch sehne,
Die Nacht des Opfers, das kein Ende hat.

Empfohlene Zitierweise:
Sophie Hoechstetter: Vielleicht auch Träumen. Müller, München und Leipzig 1906, Seite 53. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hoechstetter_Vielleicht_auch_Traeumen.pdf/53&oldid=- (Version vom 1.8.2018)