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die Perspective, um nicht zu wissen, daß zwar manche krumme Linie dem Auge in gewissen Lagen gerade, aber die geraden nie krumm erscheinen können. Einem Mathematiker könnte wohl bei dieser Krümmung die Cykloide einfallen. Was könnte aber die hier für einen Nutzen haben? Etwa den, daß, wer von der obersten Staffel herabstürzt, nicht mehr Zeit brauchte unten anzukommen, als von jeder andern Staffel auf dem Wege? Dieses wäre zwar bequem, ist aber nicht sehr wahrscheinlich, und überdas möchte wegen der Staffeln und der Friction wenig Kluges bei der Anwendung herauskommen. Auch fällt ja das Meisterstück der Schöpfung, wenn es fällt, zumal in pontificalibus, nicht wie ein Kugel-Thier. – Ob die Baukunst überhaupt von solchen Treppen wisse, weiß ich nicht, wenigstens habe ich nie eine dergleichen gesehen oder davon gehört. Krumme Wege auf die Kanzel gibt es wohl, dahin gehören z. B. die Wendel-Treppen, eine sehr bekannte Art, und dann eine nicht minder gewöhnliche, von der ich hier schweige, um die Ehre des Herrn Pastors zu schonen, die ich so ernstlich in Schutz genommen habe. – Was für eine Kraft den nichts weniger als ätherischen Prachthimmel dort über der Kanzel schwebend erhält, leuchtet ebenfalls nicht ein. So ganz ohne sichtbare Unterstützung, wie ein heiliger Schein oder ein Luftball da zu hängen, ist bei einem solchen Schnitzwerk gegen die Gesetze der Natur, und wäre er an die Säule angeklammert, gegen die Gesetze der Baukunst: denn Säulen dürfen bekanntlich nur auf den Köpfen tragen. Dem Künstler hierbei eine geheime Absicht unterzulegen, halte ich gar nicht für rathsam. Hatte er eine dabei, so war es sicherlich keine ernsthafte, und eine kurzweilige bei so wenigem Anlaß dazu erst aufzusuchen, ist der Erklärer dieser Blätter eben so wenig fähig als geneigt. Unsere Kanzeln, sagte einmal ein Trinker, erinnern mich immer an meinen kostbaren Pokal; und mich lehrt der kostbare Pokal, zu genießen, was darin dargereicht wird, aber nicht viel weder mit ihm noch auch nur mit dem Deckel zu spielen.

Nun noch zum Beschluß ein Paar Worte über die Ueberschrift des Blattes: „Der Fleißige in Erfüllung der Pflicht eines Christen.“ Und was ist das für eine Pflicht, die er da erfüllt? Antwort: