Seite:Hogarth erklärt von Lichtenberg (Kottenkamp Stuttgart 1840).pdf/1168

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Auch erwartet Hogarth keinen Beifall von denjenigen Kunstkennern, die durch gelehrte Kenntniß der Manieren den scharfen Blick hinsichtlich der Naturschönheit verlieren. Dergleichen seien zu seiner Zeit gewöhnlich, und brächten Gemälde ohne großen Werth in die Gallerieen, z. B. Venus und Cupido unter Figur 49, welche sich im Hauptzimmer eines englischen Palastes befinden.

Das beste Urtheil wird praktisch durch Zeichnen erworben, wobei man sich gewöhnen muß, die Oberflächen der Körper als aus Linien zusammengesetzt zu betrachten. Eine mechanische Art, sich hieran bei dem Menschenkörper zu gewöhnen, indem man sich zugleich die Linien vorstellt, die auf der entgegengesetzten Seite sich finden, ist Figur 2 geboten. Das Wachsmodell eines Rumpfes wird mit Drähten durchstoßen, deren Punkte die verschiedenen Linien auf beiden Seiten angeben.

Die erste Bedingung der Schönheit ist Zweckmäßigkeit (Fitness). Gewundene Säulen sind zierlich, aber unschön, so bald sie eine größere Masse halten. Wie schön auch der Leib eines Rennpferdes dargestellt sein möchte, so würde dennoch das Bild des Thieres häßlich werden, wenn man den schönsten Kopf eines Kriegsrosses daraufsetzte. Der englische Sprachgebrauch der Matrosen, welche ein schnell und gut segelndes Schiff eine Schönheit nennen (a beauty), ist durchaus richtig. Bei dem Farnesischen Hercules (Figur 3) sind alle Theile sehr schön für den Zweck der äußersten Kraft gebildet, welche der Bau der Menschenform offenbaren kann. Rücken, Brust, Schultern haben große Knochen und Muskeln, welche der vorausgesetzten Kraft der obern Theile entsprechen; da jedoch geringere Kraft bei den unteren Theilen erfordert wird, so hat der verständige Bildhauer, anstatt nach der modernen Regel jeden Theil im Verhältniß zu vergrößern, die Größe der Muskeln bis zu den Füßen hinab allmählig vermindert; aus demselben Grunde hat er den Hals größer im Umfange gemacht, als irgend einen Theil des Kopfes; fast würde die Figur durch unnützes Gewicht des letzteren beschwert worden sein. Hiedurch hatte die Stärke und somit auch die charakteristische Schönheit abgenommen.

Diese scheinbaren Fehler, welche die überlegene anatomische Kenntniß,