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Mädchen gleich für verwerflich oder gar für häßlich zu halten, weil sie einmal im Dienst ergriffen worden ist. Wenn daher in England ein Frauenzimmer vor den Richterstuhl gebracht wird, das, bei einer guten Miene, von der Sittsamkeit wenigstens die Formen, von Kleidern aber die Substanz besitzt, oder sonst dazu zu gelangen weiß, so kann man überzeugt sein, daß man nicht selten etwas Großes zu sehen bekommen wird. Der Name einer gewissen Mrs Rudd, die im Jahr 1775 zwei Zwillings-Brüder, Perreau, ihre Freunde, an den Galgen brachte, dem sie selbst bloß durch diesen Liebesdienst entging, lebt noch sicherlich in allen Magazinen der damaligen Zeit, wenn anders die Magazine selbst noch leben. Ihr ganzer Anzug wurde beschrieben, und Band für Band und Schleife für Schleife ausgemalt. Ihr Kopfputz, den die Sittsamkeit selbst dirigirt zu haben schien, ward zergliedert, und allen denen gleichsam vorgemalt, die etwa Lust hätten, auch ein Paar Perreaus zu fangen; einer Siddons[1], als Cordelia oder Desdemona, hätte nicht mehr Ehre widerfahren können. Es ging weit. Wer will es also einem Mädchen, wie diesem, verdenken, wenn es am Tage der Prüfung sein Bischen zusammensucht? Den Geschwornen ist es freilich verboten, sich dadurch blenden zu lassen, aber der armen Sünderin nicht, zu glauben, daß es dennoch möglich wäre. Wird auch der Schlag selbst damit nicht abgelenkt, so könnte so etwas noch hier und da im Volk einen Samariter erwecken, der nachher Oel in die Wunde gösse; denn es gibt in London gar seltsame Arten von Samaritern, und darunter welche, auf die ein solches Geschöpf mit seiner schweren Maulthier-Parade eben so viel Eindruck macht, als die Grazie, Julie Potocki, im Tanz, auf einen Mann von Welt und dem feinsten Gefühl gemacht hat[2].


  1. Eine der größten Schauspielerinnen dieses Jahrhunderts, gleich verehrungswürdig und wirklich verehrt, wegen ihrer Kunst, als ihres großen, untadelhaften Charakters.
  2. Man sehe die musterhafte Schilderung dieser Dame im Tanz, in den Reisen eines Liefländers von Riga nach Warschau etc. im 2. Heft. S. 197.