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eben so wenig zu begreifen wäre, wie der Mensch die gegebene verstehen und sich ihrer bedienen könnte. Sie geht nothwendig aus ihm selbst hervor und gewiß auch nur nach und nach, aber so, daß ihr Organismus nicht zwar als eine todte Masse im Dunkel der Seele liegt, aber als Gesetz die Functionen der Denkkraft bedingt, und mithin das erste Wort schon die ganze Sprache antönt und voraussetzt. Wenn sich daher dasjenige, wovon es eigentlich nichts Gleiches im ganzen Gebiete des Denkbaren giebt, mit etwas anderem vergleichen läßt, so kann man an den Naturinstinkt der Thiere erinnern, und die Sprache einen intellectuellen der Vernunft nennen. So wenig sich der Instinkt der Thiere aus ihren geistigen Anlagen erklären läßt, eben so wenig kann man für die Erfindung der Sprachen Rechenschaft geben aus den Begriffen und dem Denkvermögen der rohen und wilden Nationen, welche ihre Schöpfer sind. Ich habe mir daher nie vorstellen können, daß ein sehr consequenter und in seiner Mannichfaltigkeit künstlicher Sprachbau große Gedankenübung voraussetzen, und eine verloren gegangene Bildung beweisen sollte. Aus dem rohesten Naturstande kann eine solche Sprache, die selbst Produkt der Natur, aber der Natur der menschlichen Vernunft ist, hervorgehen. Consequenz, Gleichförmigkeit, auch bei verwickeltem Bau, ist überall Gepräge der Erzeugnisse der Natur, und die Schwierigkeit, sie hervorzubringen, ist nicht die hauptsächlichste. Die wahre der Spracherfindung liegt nicht sowohl in der Aneinanderreihung und Unterordnung einer Menge sich auf einander beziehender Verhältnisse, als vielmehr in der unergründlichen Tiefe der einfachen Verstandeshandlung, die überhaupt zum Verstehen und Hervorbringen der Sprache auch in einem einzigen ihrer Elemente gehört. Ist dieß geschehn, so folgt alles Uebrige von selbst, und es kann nicht erlernt werden, muß ursprünglich im Menschen vorhanden sein. Der Instinkt des Menschen aber ist minder gebunden, und läßt dem Einflusse der Individualität Raum. Daher kann das Werk des Vernunftinstinkts zu größerer oder geringerer Vollkommenheit gedeihen, da das Erzeugniß des thierischen eine stätigere Gleichförmigkeit bewahrt, und es widerspricht nicht dem Begriffe der Sprache, daß einige in dem Zustande, in welchem sie uns erscheinen, der vollendeten Ausbildung wirklich unfähig wären. Die Erfahrung bei Uebersetzungen aus sehr verschiedenen Sprachen, und bei dem Gebrauche der rohesten und ungebildetsten zur Unterweisung in den geheimnißvollsten Lehren einer geoffenbarten Religion zeigt zwar, daß sich, wenn