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ihr nur durch das Andere, und Alles nur durch die eine, das Ganze durchdringende Kraft besteht. Ihr Wesen wiederholt sich auch immerfort, nur in engeren und weiteren Kreisen, in ihr selbst; schon in dem einfachen Satze liegt es, soweit es auf grammatischer Form beruht, in vollständiger Einheit, und da die Verknüpfung der einfachsten Begriffe das ganze Gewebe der Kategorien des Denkens anregt, da das Positive das Negative, der Theil das Ganze, die Einheit die Vielheit, die Wirkung die Ursach, die Wirklichkeit die Möglichkeit und Nothwendigkeit, das Bedingte das Unbedingte, eine Dimension des Raumes und der Zeit die andere, jeder Grad der Empfindung die ihn zunächst umgebenden fordert und herbeiführt, so ist, sobald der Ausdruck der einfachsten Ideenvorknüpfung mit Klarheit und Bestimmtheit gelungen ist, auch der Wortfülle nach ein Ganzes der Sprache vorhanden. Jedes Ausgesprochene bildet das Unausgesprochene, oder bereitet es vor.

5. Es vereinigen sich also im Menschen zwei Gebiete, welche der Theilung bis auf eine übersehbare Zahl fester Elemente, der Verbindung dieser aber bis ins Unendliche fähig sind, und in welchen jeder Theil seine eigenthümliche Natur immer zugleich als Verhältniß zu den zu ihm gehörenden darstellt. Der Mensch besitzt die Kraft, diese Gebiete zu theilen, geistig durch Reflexion, körperlich durch Artikulation, und ihre Theile wieder zu verbinden, geistig durch die Synthesis des Verstandes, körperlich durch den Accent, welcher die Sylben zum Worte, und die Worte zur Rede vereint. Wie daher sein Bewußtsein mächtig genug geworden ist, um sich diese beiden Gebiete mit der Kraft durchdringen zu lassen, welche dieselbe Durchdringung im Hörenden bewirkt, so ist er auch im Besitz des Ganzen beider Gebiete. Ihre wechselseitige Durchdringung kann nur durch eine und dieselbe Kraft geschehen, und diese nur vom Verstande ausgehen. Auch läßt sich die Artikulation der Töne, der ungeheure Unterschied zwischen der Stummheit des Thiers, und der menschlichen Rede nicht physisch erklären. Nur die Stärke des Selbstbewußtseins nöthigt der körperlichen Natur die scharfe Theilung und feste Begrenzung der Laute ab, die wir Artikulation nennen.

6. Die feinere Ausbildung hat sich schwerlich gleich an das erste Werden der Sprache angeschlossen. Sie setzt Zustände voraus, welche die Nationen erst in einer langen Reihe von Jahren durchgehen, und inzwischen wird gewöhnlich das Wirken der einen von dem Wirken anderer durchkreuzt.