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die vergleichende Sprachforschung in ihrem wechselseitigen Zusammenhang zu betrachten hat.

11. Ich behalte alles, was den Organismus der Sprachen betrifft, einer ausführlichen Arbeit vor, die ich über die amerikanischen unternommen habe. Die Sprachen eines großen, von einer Menge von Völkerschaften bewohnten und durchstreiften Welttheils, von dem es sogar zweifelhaft ist, ob er jemals mit andern in Verbindung gestanden hat, bieten für diesen Theil der Sprachkunde einen vorzüglich günstigen Gegenstand dar. Man findet dort, wenn man bloß diejenigen zählt, über welche man ausführliche Nachrichten besitzt, etwa dreißig noch so gut als ganz unbekannte Sprachen, die man als eben so viel neue Naturspecies ansehen kann, und an welche sich eine viel größere Anzahl anreihen läßt, von denen die Data unvollständiger sind. Es ist daher wichtig, diese sämmtlich genau zu zergliedern. Denn was der allgemeinen Sprachkunde noch vorzüglich abgeht, ist, daß man nicht hinlänglich in die Kenntniß der einzelnen Sprachen eingedrungen ist, da doch sonst die Vergleichung noch so vieler nur wenig helfen kann. Man hat genug zu thun geglaubt, wenn man einzelne abweichende Eigenthümlichkeiten der Grammatik anmerkte, und mehr oder weniger zahlreiche Reihen von Wörtern mit einander verglich. Aber auch die Mundart der rohesten Nation ist ein zu edles Werk der Natur, um, in so zufällige Stücke zerschlagen, der Betrachtung fragmentarisch dargestellt zu werden. Sie ist ein organisches Wesen, und man muß sie, als solches, behandeln. Die erste Regel ist daher, zuvörderst jede bekannte Sprache in ihrem inneren Zusammenhange zu studiren, alle darin aufzufindenden Analogien zu verfolgen und systematisch zu ordnen, um dadurch die anschauliche Kenntniß der grammatischen Ideenverknüpfung in ihr, des Umfangs der bezeichneten Begriffe, der Natur dieser Bezeichnung und des ihr beiwohnenden mehr oder minder lebendigen geistigen Triebes nach Erweiterung und Verfeinerung, zu gewinnen. Ausser diesen Monographien der ganzen Sprachen, fordert aber die vergleichende Sprachkunde andere einzelne Theile des Sprachbaues z. B. des Verbum durch alle Sprachen hindurch. Denn alle Fäden des Zusammenhangs sollen durch sie aufgesucht und verknüpft werden, und es gehen von diesen einige, gleichsam in der Breite, durch die gleichartigen Theile aller Sprachen und andere, gleichsam in der Länge, durch die verschiedenen Theile jeder Sprache. Die ersten erhalten ihre Richtung durch die Gleichheit des Sprachbedürfnisses