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zu demselben Ziel führen, und dasselbe, nur mit anderm Klange, bedeuten. Abgesehen vom unmittelbaren Lebensgebrauch, behält dann nur das Studium derjenigen Sprachen Wichtigkeit, welche eine Literatur besitzen, und es wird der Rücksicht auf diese untergeordnet, wie es der ganz richtig gefaßte Gesichtspunkt der Philologie ist, insofern man dieselbe dem allgemeinen Sprachstudium entgegensetzen kann, welches diesen Namen führt, weil es die Sprache im Allgemeinen zu ergründen strebt, nicht weil es alle Sprachen umfassen will, wozu es vielmehr nur wegen jenes Zweckes genöthigt wird.

13. Werden wir nun aber so zu den gebildeten Sprachen hingedrängt, so fragt es sich zuvörderst, ob jede Sprache der gleichen, oder nur irgend einer bedeutenden Cultur fähig ist? oder ob es Sprachformen giebt, die nothwendig erst hätten zertrümmert werden müssen, ehe die Nationen hätten die höheren Zwecke der Menschheit durch Rede erreichen können. Das letztere ist das Wahrscheinlichste. Die Sprache muß zwar, meiner vollsten Ueberzeugung nach, als unmittelbar in den Menschen gelegt, angesehen werden; denn als Werk seines Verstandes in der Klarheit des Bewußtseins ist sie durchaus unerklärbar. Es hilft nicht, zu ihrer Erfindung Jahrtausende und abermals Jahrtausende einzuräumen. Die Sprache ließe sich nicht erfinden, wenn nicht ihr Typus schon in dem menschlichen Verstande vorhanden wäre. Damit der Mensch nur ein einziges Wort wahrhaft, nicht als bloßen sinnlichen Anstoß, sondern als articulirten, einen Begriff bezeichnenden Laut verstehe, muß schon die Sprache ganz und im Zusammenhange in ihm liegen. Es giebt nichts Einzelnes in der Sprache, jedes ihrer Elemente kündigt sich nur als Theil eines Ganzen an. So natürlich die Annahme allmähliger Ausbildung der Sprachen ist, so konnte die Erfindung nur mit Einem Schlage geschehen. Der Mensch ist nur Mensch durch Sprache; um aber die Sprache zu erfinden, müßte er schon Mensch sein. So wie man wähnt, daß dies allmählig und stufenweise, gleichsam umzechig, geschehen, durch einen Theil mehr erfundener Sprache der Mensch mehr Mensch werden, und durch diese Steigerung wieder mehr Sprache erfinden könne, verkennt man die Untrennbarkeit des menschlichen Bewußtseins und der menschlichen Sprache, und die Natur der Verstandeshandlung, welche zum Begreifen eines einzigen Wortes erfordert wird, aber hernach hinreicht, die ganze Sprache zu fassen. Darum aber darf man sich die Sprache nicht als etwas fertig Gegebenes denken, da sonst