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Walther Kabel: Hungertod. In: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1913, Bd. 2, S. 233–235

Erschöpfung nach schmerzhaften Krampf- und Tobsuchtsanfällen sterben, vertragen viele Tiere die Entziehung jeglicher Nahrung bedeutend besser.

Obenan stehen hier die Reptilien. Der Londoner Zoologische Garten erhielt im Jahre 1895 aus Indien eine Riesenschlange zugeschickt, die nach ihrer Ankunft keinerlei Nahrung mehr zu sich nahm, trotzdem aber noch anderthalb Jahre lebte. In den ersten sechs Monaten war dabei eine wesentliche Abmagerung an ihr nicht zu bemerken. Erst nach dieser Zeit schrumpfte sie immer mehr zusammen. Bei ihrem Tode wog sie nur halb so viel als bei ihrem Eintreffen in London. Der allgemeine Satz, daß der Tod eintritt, wenn das Körpergewicht auf drei Fünftel seines ursprünglichen Wertes gesunken ist, trifft bei den Reptilien mithin nicht zu.

Von den Amphibien sind es Salamander und Molche, die als Hungerkünstler Beachtung verdienen. Im Juli 1870 hatte der französische Naturforscher Lepine an einen ihm befreundeten Kollegen in Berlin ein Kistchen mit seltenen afrikanischen Molchen von Alger aus abgeschickt. Infolge des Krieges blieb die Sendung bis zum März 1871 in Paris liegen und wurde dann erst dem Adressaten zugestellt. Die Molche, die in sogenanntes Schwammmoos, das die Feuchtigkeit der Luft sehr begierig aufsaugt und sich daher stets frisch erhält, verpackt waren, lebten sämtlich noch, obgleich seit ihrer Absendung inzwischen fast neun Monate verstrichen waren.

An dritter Stelle ist dann als äußerst widerstandsfähig gegen Hunger unser treuer Hausgenosse, der Hund, zu nennen. Gutgenährte, kräftige Hunde vermögen es ohne jede Nahrung und Flüssigkeit bis zu drei Wochen auszuhalten – eine Leistung, die ihnen kein anderes Säugetier nachmacht. Pferde gehen bereits nach vierzehn Tagen an Hunger ein, Katzen sogar schon nach elf Tagen. Am schnellsten erliegen auffallenderweise die Wiederkäuer dem Hungertode. Rinder sind nach achttägiger Nahrungsentziehung unrettbar verloren. Legt man ihnen zum Beispiel nach sechstägigem Hungern Futter vor, so rühren sie es vor Entkräftung nicht mehr an und sterben spätestens am neunten Tage.

Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Hungertod. In: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1913, Bd. 2, S. 233–235. Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart, Berlin, Leipzig 1913, Seite 234. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hungertod.pdf/3&oldid=- (Version vom 1.8.2018)