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Wendt hielt inne und Born fragte, gute Miene zum bösen Spiele machend:

„Also Ihr altes Thema! Aber Sie können Sich die Aufzählung der von mir Verherrlichten, sowie der von mir Gemordeten und noch zu Mordenden sparen; sagen Sie mir lieber, was meine wirkliche oder angebliche Dichteritis, um Arvenbergs jüngsten Kalauer zu adoptiren, mit meiner Pünktlichkeit zu schaffen hat. Irgend eine Bosheit lauert da wieder im Hintergrunde.“

„Bosheit! Aber, lieber Born, wessen halten Sie mich fähig? Habe ich Sie nicht immer in Schutz genommen, wenn die andern schonungslos auf Sie einhackten? Habe ich es nicht durchgesetzt, daß Ihr ‚Heinrich der Löwe‘ in meinem Lesekränzchen mit vertheilten Rolle gelesen –“

„Gelesen werden sollte – allerdings!“ war die lakonische Erwiderung.

„Daß dies Vorhaben sich nicht realisiren ließ, hat an unberechenbaren, unglücklichen Zufälligkeiten gelegen, wie Sie wissen. Aber jetzt einmal ganz im Ernst. Wenn ich Ihren Dichterberuf bedenke, so stört mich Ihre Pünktlichkeit. Sie sind überhaupt viel zu sehr der solide, junge Mann, den die Väter liederlicher Söhne als Muster aufstellen, dem die Mütter heiratsfähiger Töchter mit ermuthigendem Wohlwollen zunicken. Sie haben keine Schulden, Sie haben keine Liebschaften, Sie trinken nie ein Glas über den Durst, Ihre Wäsche ist stets so sauber, Ihre Kleidung so adrett und modern, – es ist so garnichts Zerrissenes, Unstätes, leidenschaftlich Bewegtes an Ihnen und –

„Nun hab’ ich’s aber satt! Also ein Dichter muß nach Ihrer Meinung in einem defekten Phantasiekostüm herumlaufen, seine Wäsche muß quantitativ und qualitativ der der ‚edlen Polen aus der Polakei‘ in Heine’s Gedicht erfolgreich Konkurrenz machen, er muß bis über die Ohren in Schulden stecken und wenigstens einmal wöchentlich schwer bezecht aus einer Gosse gefischt werden, und ein oder lieber gleich einige Verhältnisse zu verheirateten Frauen haben, die womöglich zu Duellen –“

„Sie karrikiren, aber so leichten Kaufs werden Sie mich nicht los. Ich kenne Sie doch nun schon lange, aber von Sturm und Drang habe ich an Ihnen nie etwas bemerkt. Die Phantasie und das Gefühl spielen Ihnen nie einen Streich, sie gehen nie mit Ihnen durch, und wenn Sie in dieser langen Zeit ein einziges mal verliebt gewesen sind, so lasse ich mich hängen. Gestehen Sie, das Theaterbillet, welches Sie der kleinen Büffetmamsell im Café Berlin schenkten, ist Ihre einzige erotische Anstrengung gewesen, und da die Liebe auch für das Drama und die Tragödie unerläßlich ist und man doch nur das zu schildern vermag, was man an sich selber erlebt und mit dem eignen Herzen und den höchsteigenen geehrten Nerven empfunden hat, so ist’s ganz erklärlich, daß uns die Frauenzimmer in Ihren Tragödien als der größte Stein des Anstoßes erschienen sind.“

„Sie haben gut reden; wie kann ich bei meiner ungewissen Zukunft ans Heiraten denken? Ich muß froh sein, wenn ich mich mit Ach und Krach durchschlage und es vielleicht soweit bringe, daß ich mir einmal einen Vorleser halten kann. Mit meinen Augen wird es ja nie wieder besser und mehr als acht Seiten täglich kann ich nicht lesen, und auch die nicht ohne Tubus.“

„Aber, lieber Freund, beachten Sie einen Moment den furchtbaren Saltomortale, den Sie da eben gemacht haben! Ich spreche vom Verlieben für Ihre dichterischen Zwecke – Sie sprechen vom Heiraten! Mit Ihnen ist eben rein nichts anzufangen. Sie sind unverbesserlich solid und moralisch, und das ist sehr gut für Ihren Ruf, aber sehr schlimm für Ihre Dramen.“

Born wollte eben erwidern, als ein dritter ins Zimmer trat. Er schnaufte beträchtlich, wennschon ersichtlich nur zum Scheine, warf sich, wie zum Tode erschöpft, ins Sopha und sagte dann:

„Die Hühnersteigen – sechs doch mindestens? – wären überstanden! Aber was war denn das für ein Disput? Hat sich Born verlobt und hat ers unter sechzigtausend Thalern gethan?“

Wendt brach in ein schallendes Gelächter aus, fuhr sich mit allen Zeichen des Vergnügens durch das ziemlich dichte und buschige Haar, streichelte wohlgefällig seinen Henriquatre und sah Born erwartungsvoll an. Dieser verließ seinen Platz am Ofen, nahm sich eine Zigarre und tastete suchend auf dem Tische herum, bis er endlich das Schächtelchen mit den „Schweden“ gefunden hatte.

„Es scheint mir heute wieder trübselig gehen zu sollen. Eben hat mir Wendt eine kolossale Pauke gehalten und nun fangen Sie an, Arvenberg! Nun bin ich bloß neugierig, was die andern für Laune mitbringen, – es wäre am Ende das Beste, ich salvirte mich durch die Flucht.“

„Sie brauchen nicht zu denken, daß ich Born zu nahe getreten bin,“ betheuerte Wendt. „Ich habe ihm nur gesagt, daß er in seinem ganzen Privatleben alles dichterische Fluidum vermissen läßt, daß es demselben an aller malerischen und interessanten Unordnung fehlt –“

„Als wenn das zu bezweifeln wäre! Lieber Born, Ihr ganzes Unglück ist, Sie haben zuviel Geld, es geht Ihnen viel zu gut – und dabei haben Sie nicht einmal Bedürfnisse,“ gab Arvenberg zurück.

Das wurde mit einem Tone gesagt, in dem sich, bei anscheinendem Ernst der Ueberzeugung, Gutmüthigkeit, Humor und Satire eigenthümlich mischten, und von Satire wetterleuchtete es denn auch in dem feinen, klugen Gesicht, das nur durch die gebogene Nase an den semitischen Typus erinnerte.

Born mußte selber lachen. „In dem Wahnsinn ist allerdings Methode. Ich und zuviel Geld! Tausend Mark jährlich – mehr kann ich nicht aufgehen lassen, und wäre ich nicht arm wie eine Kirchenmaus, ich würde die verwöhnte Nase Arvenbergs gewiß nicht durch meine väterlichen Freimaurerzigarren beleidigen.“

„Es hilft aber alles nichts, es geht Ihnen dennoch zu gut, soviel Selbsterkenntniß Sie auch bezüglich der Qualität Ihrer Infamia an den Tag legen. Würden Sie sonst nicht die herrliche Gelegenheit benutzen, die Sie als Lehrer der englischen und französischen Literatur an einer Fortbildungsschule für höhere Töchter haben?“

„Welche Gelegenheit? Und wozu benutzen?“ fragte Born mißtrauisch, während Wendt, die Fortsetzung des Spottgefechts mit vielem Vergnügen an den neuen Ankömmling abtretend, sich eine neue Zigarette drehte.

„Aber, Lamm Gottes, das fragen Sie noch? Sie stehen vor einem halben Hundert junger Mädchen, vom Backfisch bis zur gereiften Jungfrau, von denen jede einzelne das Prädikat ‚Goldfisch‘ verdient, Sie sind ihr Literaturlehrer, man ist selbstverständlich bis über die rosigen, kleinen Ohren in Sie verliebt, und Sie lassen ein geschlagenes Jahr vergehen, ohne Sich die hübscheste, liebenswürdigste und interessanteste von Ihren andächtigen Schülerinnen gekapert zu haben! Wissen Sie, daß das unverzeihlich und unverantwortlich ist, daß man Sie insgeheim beschuldigen wird, Fisch-, beziehentlich Froschblut in den Adern zu haben? Und dabei kommt ihm noch zugute, daß er zwar ein wenig hager und steif ist, aber sonst ein ganz passabler Junge, namentlich seitdem er meinen Rat befolgt, seinen zu langen Hals durch Stehkragen zu maskiren, daß er einen hübschen, blonden Schnurrbart hat, daß er im Rufe eines firmen Klavierspielers steht, daß ihn der Nimbus des Dichters umfließt, sobald er sich entschließen kann, ganz im Vorbeigehen eine Bemerkung über seine noch der Aufführung harrenden unsterblichen Dramen einfließen zu lassen! Nein, Born, ich verzweifle an Ihnen, – Sie kommen nie auf einen grünen Zweig!“

Der also Apostrophirte machte ein Gesicht, wie zusammengefahrene Milch, und erwiderte unwirsch:

„Nun kommen Sie mir auch noch mit meinen weiblichen ‚Hörern‘, nun soll ich gar noch eine von den Geheimraths-, Gerichtsraths- und Banquiers-Gänschen heiraten, die mir mit ihrem albernen Gezischel und Gekicher und Gewisper das Leben so sauer machen, daß ich die Sache gründlich satt habe! Wissen Sie, daß ich drauf und dran bin, diese Stellung aufzugeben?“

„Wundert mich garnicht, – aber warum irritirt Sie der Backfisch-Uebermuth?“

„Ach was, ich gebe mir die erdenklichste Mühe, ich bereite mich sorgfältig vor, ich quäle mich damit ab, die Frauenzimmer in das Verständniß Shakespeare’s einzuführen, und finde nicht die geringste Empfänglichkeit und darum auch keine Aufmerksamkeit. Und doch sind das lauter ‚höhere‘ Töchter!“

„Ja, sehen Sie, Born, da liegt der Fehler. Sie sind wieder viel zu gründlich, viel zu gewissenhaft, viel zu wissenschaftlich, und bringen Sich dadurch um alle Wirkung. Glauben Sie denn, die jungen Damen werden von dem Bestreben, sich zu bilden und etwas zu lernen, in die Lehrstunden geführt? Die Sache ist Mode, es ist Chic, eine solche Anstalt zu besuchen, also kann man sich nicht ausschließen, ohne beredet zu werden. Und statt nun die so Gepreßten zu unterhalten und zu amüsiren, statt ihnen von allem nur den leichten, süßen Schaum zu geben, doziren Sie, als hätten Sie Studenten vor sich, und werden – langweilig,

Empfohlene Zitierweise:
Rudolf Lavant: Idealisten. In: Die Neue Welt, Leipzig 1880, Seite 386. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Idealisten_33_02.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)