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Lindner hatte wirklich seltnes Waidmannsglück gehabt; der in seiner Sünden Maienblüthe vom rächenden Verhängniß ereilte Räuber war ein stattliches Thier, und Wendt nahm ihn mit lebhaftem Danke in Empfang und streichelte liebkosend das weiche Fellchen.

„Wer ist denn eigentlich jetzt die Glückliche, die den juristischen Staub von Ihrer idealangelegten Seele blasen darf? Ist es noch immer die Kleine mit der blonden Mähne, mit der ich Sie vor drei Wochen gehen sah?“

„Ab – weggeschnappt, lieber Lindner; übrigens kann ich mich trösten, denn ich habe mich bei dem Tausch verbessert und Reinisch würde auf ein solches Modell Tag und Nacht Jagd machen.“

Der Maler, der in der Zwischenzeit die auf dem Tisch liegenden Bücher und Zeitungen gemustert hatte, erwiderte spöttisch:

„Lieber Wendt, das Modellsuchen muß ich wohl selber besorgen – Sie dürften schwerlich das erforderliche Urtheil haben. Da verließe ich mich weit eher auf Lindner, oder auf unsern Schopenhauerianer Arvenberg.“

Und zu diesem sich wendend, fügte er hinzu:

„Ihre letzte Kritik war übrigens wieder brillant; verteufelt scharf, wie immer, aber das wesentliche, den Kern herausschälend, wie sichs gehört. Ich glaube, um unsere Theaterkritik stünde es besser, wenn sie lediglich in den Händen von verständigen, unparteiischen und – unzugänglichen Laien wäre, die auf niemanden Rücksichten zu nehmen haben und vor allem zu keiner Coterie gehören. Wo nehmen Sie aber nur die Zeit her? Den Tag über im Komptoir, bis 9 und 10 im Theater und dann noch Philosophie, Nationalökonomie und Geschichte?“

Arvenberg strich sich das Schnurbärtchen aus den Lippen. „Das ist mein Geheimniß. Ich geize mit der Zeit, ich nutze jede Viertelstunde Muße aus und – ich gehe in keine Kneipe und in kein Café, außer von 1 bis 2, um die Zeitungen zu lesen. Lindner versteht auch was von dieser Kunst, die freilich für euch Künstler unerlernbar ist – der arme Kerl muß sich in der Apotheke abrackern und treibt in seiner freien Zeit noch Chemie, als bekäme er’s bezahlt. Von seinen Schmetterlingen und Käfern, von seiner Raupenzucht im Sommer und seinen nächtlichen Exkursionen in die Wälder will ich dabei ganz absehen.“ Lindner biß auf den Köder an:

„Ja, Kinder, nach meinen Schmetterlingen müßt Ihr einmal wieder sehen. Vorige Woche habe ich von einem Freund, der im Sommer in der Schweiz war, eine Menge reizender Doubletten eingetauscht, theilweise große Seltenheiten, und dann hab’ ich auch einen wundervollen rothen Farbstoff entdeckt, dessen Herstellung freilich zu theuer für die praktische Verwendung ist.“

„Ja so, wie war denn das?“ fiel ihm Arvenberg ins Wort. „Sie wollten doch hinter eine künstliche Herstellung des Indigo kommen und das Geheimniß an die meistbietende Regierung verkaufen – haben wir Aussichten?“

Lindner ließ sich durch die Neckerei nicht verstimmen. „Es geht unverdrossen weiter. Einer muß doch einmal dahinter kommen und warum soll ich der Glückliche nicht sein? Uebrigens – glückt die Geschichte, so ist uns allen mit einem Schlage geholfen, denn eine million Thaler wirft die Entdeckung ab und dann sagen wir jedem Börsenbaron ins Gesicht: „Mein Herr, mit uns verglichen, sind Sie nur eine traurige Motte.“

„Man thut also wohl gut, sich gleich einiges für den Fall des Gelingens vorzunehmen, um später nicht kopflos und rathlos all dem Mammon gegenüberzustehen. Ich schlage vor, wir verwenden einen Theil desselben auf die Erbauung eines Nationaltheaters, im Teutoburger Walde etwa, welches lediglich dazu da ist, Born’sche Tragödien zur Aufführung zu bringen – selbstverständlich gratis. Ferner erhält Born ein Jahresgehalt, wogegen er sich verpflichtet, jährlich vier neue Tragödien zu liefern, von denen keine mit weniger als zehn Ermordungen verknüpft sein darf. Uebrigens kann er auch recht gut selber mitspielen; wenn er ins Zimmer tritt, denkt man ja unwillkürlich an Banquos Geist oder an Wallenstein, der den Partisanen der Verschwörer die entblößte Brust darbietet.“

„Und den Rest,“ erwiderte Born, „verwenden wir zum Ankauf des Felseneilandes Monte Christo, das die italienische Regierung uns um ein billiges abtreten wird. Wir taufen seine vorspringendste Klippe Kap Schopenhauer und erbauen uns gemeinschaftlich ein behagliches Haus. Arvenberg schreibt Kommentare zu seinem Lieblingsphilosophen, Lindner schießt Seevögel, Wendt steht der Küche vor und Reinisch malt Schiffbrüche und dem Schaum des Meeres entsteigende Aphroditen oder melancholische Seejungfern.“

„Bis wir vor Langeweile sterben,“ ergänzte der Maler trocken; „ich wenigstens habe keine Anlage zum Mönch. Soll denn übrigens der ganze Abend mit diesem Geplänkel vergeudet werden? Ich dächte, es würde Zeit, daß wir uns einmal unserer

Empfohlene Zitierweise:
Rudolf Lavant: Idealisten. In: Die Neue Welt, Leipzig 1880, Seite 397. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Idealisten_34_04.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)