Seite:Idealisten 34 06.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

„Nun thut mir aber den einzigen Gefallen, Kinder, und hört auf! Für eure Jahre sollte die Leidenschaft, und zwar die konsequente, unvernünftige, rücksichtslose Leidenschaft, auch bei der Frau, doch noch ein Dogma sein, und da redet einer wie der andere so nüchtern, so verständig, so stockphilosophisch, als habe er ein halbes Jahrhundert auf dem Rücken! Es war freilich auch eine närrische Zeitkrankheit, das blinde Schwärmen für Heine, und die guten Gymnasiasten, welche die Welt nur aus Büchern kannten und sich die sentimental–spöttische Zerrissenheit des „ungezogenen Lieblings der Grazien“ anempfanden und anaffektirten, die sich nebenher die „Emanzipation des Fleisches“ in ihrer Weise zurechtlegten, sind mir ganz und gar nicht sympathisch gewesen, selbst wenn sie auf den unglücklichen Versuch, Verse im Stile ihres Lieblingspoeten zu machen, klugerweise verzichteten. Sie spielten für den, der Welt und Menschen aus eigner Erfahrung kannte, eine hochkomische Rolle, aber lieber waren sie mir doch, als die Gymnasiasten von heute, auf deren Lippen die Weisheit des „Philosophen von Frankfurt“ zu einem süffisanten Lächeln gefroren ist und die über alle Liebesselbsttäuschungen geringschätzig die Achseln zucken. Ihr seid ja anders, sonst hätte ich greiser Jüngling zu eurer jungen Greisenhaftigkeit auch nimmermehr gepaßt, aber angekränkelt seid ihr doch auch, und es ist eine Schande, daß ich, der ich doch kein Idealist bin, euch beweisen muß, wie viele Dinge auf dieser wunderlichen Erde und zwischen zwei heißen Herzen sich abspielen, die der kalten Weisheit eures Philosophen einen energischen Nasenstüber versetzen und sich im System, soweit es die Frauen betrifft, schlechterdings nicht unterbringen lassen. Es ist freilich wahr, häufig sind die echten Leidenschaften nicht – es müssen die richtigen Menschen einander vom Zufall in den Weg geführt werden und die Verhältnisse müssen sich verschwören, auseinanderzuhalten, was mit schmerzlicher Gewalt nach Vereinigung strebt, und in der einen oder der anderen Hinsicht pflegt es meist zu hapern – sind aber alle Bedingungen vorhanden, dann gibt es ein Schauspiel, das viel von der wilden Pracht eines Gewitters hat, und wir andern, denen der tolle Tropfen im Blut fehlt, wir stehen dabei, mit stockendem Herzschlag und verhaltenem Athem, und kommen uns unsäglich albern und philisterhaft vor und es überfällt uns wie ein Schwindel, wie eine brennende Sehnsucht nach der gleichen süßen, seligen, heiligen Verrücktheit, nach einem gleich jähen, poetischen Ende. Ich hab’s durchgemacht, Kinder, während meiner Prager Zeit, mit zwei Menschen, von denen mir der eine, ein prächtiger Bursche, völlig ans thörichte Herz gewachsen war, während das Mädchen mir imponirt hat durch ihre „inferiore“ Seele und zugleich so klassisch schön war, daß es mir fast lächerlich vorkam, eine kurze Zeit gewähnt zu haben, ich mit meiner leidigen Nußknackerfigur könne ihrer je werth sein. Wenn ihr wollt, gebe ich euch den „schönen Fall“ das nächste mal zum besten – ich muß mich aber vorbereiten und Bilder und Briefe heraussuchen. Das aber bedinge ich mir aus – ich will heute über acht Tage keine Witze hören, sonst macht ihr mich wild und ich gehe euch mitten in der Erzählung auf und davon.“

Wie eifrig der Vorschlag aufgegriffen, wie willig die Bedingung angenommen wurde – muß das besonders gesagt werden?

Empfohlene Zitierweise:
Rudolf Lavant: Idealisten. In: Die Neue Welt, Leipzig 1880, Seite 399. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Idealisten_34_06.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)