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Man war inzwischen zum Thee übergegangen, Arvenberg hatte die verheißenen Süßigkeiten bekommen und der das ganze Zimmer erfüllende Tabaksqualm war von jener Intensität, die mit dem Säbel durchhauen sein will. Nach Mitternacht beschloß man denn auch, die Sitzung aufzuheben und noch nach einem benachbarten Café zu gehen, da Wendt doch mindestens eine Stunde lang lüften müsse, und möglichst geräuschlos setzte sich die kleine Karawane unter Vortritt des Wirths, der sich mit einer brennenden Kerze bewaffnet hatte, treppab in Bewegung; selbst der Maler machte seinem Ingrimm über die ausgetretenen Stufen nur flüsternd Luft und erst auf der Strasse sagte er laut:

„Das nächste mal kommt ihr aber zu mir – ich muß sagen, daß ich wenig Lust habe, diesen Thurm je wieder zu besteigen. Daß Wendt toll genug war, sich in dieser Wohnung in der Nähe der Wolken zu verlieben, wundert mich nicht – es wäre mir aber von Interesse, seine Gesinnungs- und Geschmacksgenossen kennen zu lernen.“

„Lauter Junggesellen – und zwar alte!“ erwiderte Wendt; „das Haus gehört einer alten Frau, die im ersten Stock mit ihrem Dienstmädchen wohnt und nur an Garçons vermiethet. Ich war ihr eigentlich zu jung, noch nicht gesetzt genug, doch habe ich ihr eine so ausschweifende Schilderung von der Solidität meines Charakters und der Tadellosigkeit meiner Sitten entworfen, daß sie endlich, wenn auch mit halbem Widerstreben, einwilligte; ich wohne eigentlich nur auf Probe und wenn ich ihr Wohlwollen verscherze, muß ich meine doch gewiß originelle Bude sofort wieder räumen.“

Im Café hätte man als zufälliger Beobachter die Bemerkung machen können, daß jeder von seinem Zucker ein oder zwei Stückchen stillschweigend und wie gewohnheitsmäßig Lindner zuschob, der diesen süßen Tribut ebenso stillschweigend und gewohnheitsmäßig in seine Westentaschen versenkte. Die befremdliche Manipulation erhielt aber bald ihre vollständige Aufklärung durch Wendt, der lachend sagte:

„Nun haben Ihre Zeisige, Finken u. s. w. wohl wieder für acht Tage Vorrath?“

„Gewiß,“ replizirte Lindner, „aber es wird mir immer ganz Angst, wenn Sie meine Vögel aufzählen – lassen Sie das, ich bitte; Sie können ja kaum einen Sperling von einer Lerche unterscheiden.“

„So wenig, wie Sie Hammelbraten von Truthahn,“ gab Wendt den Stich zurück und ein solcher Mangel an naturwissenschaftlichen Kenntnissen wog in seinen Augen unendlich schwerer. Es ging in der That die dunkle Sage, der Herr Apotheker und Chemiker habe sich bei einem Diner Hammelbraten für Truthahn aufreden lassen, eine Anekdote, welche Wendt für die beste und klassischste erklärte, die er in seinem ganzen Leben gehört.

Der Sturm hatte nachgelassen, aber die Straßen waren dennoch still und todt, als die kleine Gesellschaft sich vor der Thür des Café’s trennte und nach allen Richtungen der Windrose auseinanderstob, denn es ging bereits auf zwei und die Polizeistunde war vor der Thür. Es ging regelmäßig so, eine Thatsache, die ein etwas bedenkliches Licht auf die Gewohnheiten der jungen Leute wirft, indessen mußten dieselben ja schon als eine Art „Bohème“ geschildert werden, und es kann ihnen in den Augen des Lesers keinen großen Schaden mehr thun, daß sie den Schlaf vor Mitternacht keineswegs für nothwendig oder auch nur heilsam hielten. Der Maler, der allerdings gegründete Ursache hatte, sich für eine solche Philosophie zu entscheiden, wies gern und mit einem großen Aufwand von Scharfsinn und Beredtsamkeit nach, daß die Menschen in zwei Klassen zerfielen, in Tag- und Nachtmenschen; für die letzteren beginne mit der Dämmerung eigentlich erst die Lebensthätigkeit, und er gehöre in diese Kategorie und könne sich auch nur für Menschen erwärmen, die erleichtert aufathmen, wenn die Schleier der Dämmerung niedersinken auf die verstummende Welt.

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Die nächste Versammlung fand also in der Wohnung des Malers statt, die allerdings in einem auffallenden Gegensatz zu der des noch studentischen Gewohnheiten frönenden jungen Juristen stand. Ein altes, palastähnliches Haus mit breiten Fluchten hallender steinerner Treppen und jener behaglichen Raumverschwendung, welche noch die Bauten des achtzehnten Jahrhunderts charakterisirt. Das Zimmer war sehr groß und wenn man in die tiefen Fensternischen trat, hatte man einen freien Ueberblick über den Markt, dessen typenreiches, buntes Getriebe dem Maler außerordentlich sympathisch war. Das hervorragendste Möbel war ein mächtiges Himmelbett mit grünen Vorhängen und Wendt hatte schon wiederholt die Befürchtung ausgedrückt,

Empfohlene Zitierweise:
Rudolf Lavant: Idealisten. In: Die Neue Welt, Leipzig 1880, Seite 409. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Idealisten_35_07.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)