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daß in dieser Riesengruft, die zur Noth den ganzen Freundenskreis aufzunehmen vermöge, die kleine, schmächtige Gestalt des Malers eines Tages spurlos verloren gehen werde. Auch die übrige Einrichtung zeigte das Bestreben, einen gewissen malerischen Pomp herzustellen, dagegen war in der ganzen Wohnung nur ein größeres Bild zu entdecken – eine Maria mit dem Kinde, die aber niemandem imponiren wollte; die Glorie der himmlischen Verklärung umfloß weder die Madonna, noch ihre fleischigen Bambinos. Reinisch war angeblich Historienmaler, wer ihn aber in seinem Künstlerheim aufsuchte, der fand ihn regelmäßig beim Entwerfen von Bildern zu „Tausend und eine Nacht“ oder zu Casanovas „Memoiren“, von denen er freilich mit Achselzucken und mit großer Geringschätzung sprach, die ihm aber doch, wie es schien, allein die Existenz sicherten; vor einer Leinwand hatte ihn noch niemand gesehen.

Man war diesmal pünktlicher und alles war gespannt auf des Malers Liebesgeschichte, er aber schien sein Versprechen gänzlich vergessen zu haben, und als er von Born, der nicht länger an sich halten konnte, da er unablässig auf der Stoffjagd war und hier halb und halb einen Stoff für ein modernes Drama witterte, eifrig an dasselbe erinnert ward, machte er ein ziemlich mißmuthiges Gesicht und sagte endlich zögernd:

„Kinder, erlaßt mir das lieber und entbindet mich meines Versprechens; ich habe es in der Uebereilung gegeben und bin eben wieder einmal unbesonnen gewesen; der schwarze Gentleman hole diese Uebereilungen, die ich alter Knabe mir doch wahrhaftig abgewöhnt haben könnte!“

Energischer Protest von allen Seiten; Born bekam vor Eifer einen ganz rothen Kopf.

Aber Reinisch ließ sich nicht beirren und plaidirte weiter:

„Ich habe da mancherlei verblichene Erinnerungen wieder aufgefrischt, was ich so ziemlich verschmerzt hatte, geht mir fast wieder so nahe wie einst, kurz, ich würde einen schlechten Erzähler abgeben – laßt die ganze Geschichte lieber begraben sein.“

Da erhob sich Arvenberg und erklärte:

„Lieber Reinisch, das ist nur eine Kriegslist, ein Manöver, das unsere berechtigte Neugierde zur Ungeduld steigern soll – wir bestehen auf unserm Schein; machen Sie also die Sache kurz und sperren Sie Sich nicht länger!“

Diese Auffassung wurde so allseitig getheilt, daß der Maler mit einem mehr geknurrten, als geflüsterten: „So sei’s denn – die Folgen auf euer Haupt!“ seinen aussichtslosen Widerstand aufgab und nach einigem Kramen in einer Kommode, in der eine wahrhaft geniale Unordnung herrschte, eine Mappe zum Vorschein brachte, aus der er eine Reihe von Skizzenblättern nahm. Dieselben wie ein Spiel Karten nachdenklich und eigenthümlich bewegt in der Hand ordnend, sagte er:

„Da habt ihr ihn also, meinen jungen Charakterkopf, den apartesten, der je auf einem geschmeidigen und doch trotzigen Nacken saß. Seht ihn euch nur ordentlich an – ihr werdet dann begreifen, daß ihr alle miteinander, so respektable Eigenschaften ihr auch besitzt, mir diesen einen Menschen nicht ersetzen könnt.“

Man sah die Bilder, die sämmtlich denselben jugendlichen Kopf, dasselbe regelmäßige, edle, wenn auch nicht auffallend hübsche Gesicht wiedergaben, durch und der Jurist meinte schließlich kühl:

„Ohne Zweifel ein hübscher Junge, aber – ein Schauspieler, wie ich glaube, denn ein anderer Mensch bringt es doch nicht fertig, seine Gesichtsmuskeln zu jedem beliebigen Ausdruck zu zwingen und jetzt von Glück und Uebermuth zu strahlen und dann wieder tief melancholisch dreinzuschauen, als gebe es für ihn keine Freude mehr auf Erden.“

Das war freilich eine harte Anschuldigung und die Trockenheit, mit der sie hingeworfen ward, reizte den Maler noch mehr und er erwiderte mit einem Anflug von Bitterkeit und Schärfe:

„Ich hätte mir’s ja denken können, und das war auch ein Grund, weshalb ich meine Bilder und Briefe und meine ganze Geschichte für mich behalten wollte. Die Sache ist nur die, daß Curt von Blenkheim das gerade Gegentheil eines Schauspielers war, daß er nicht die mindeste Herrschaft über seine Züge besaß und daß sein Gesicht der Spiegel war, aus dem man jeden Affekt seiner Seele deutlich ablesen konnte. Und da er eine reizbare, empfindliche, stolze und ungeduldige Seele besaß, da ein Nichts, ein hingeworfenes Wort, eine auftauchende Erinnerung, ein in ihm aufsteigender Gedanke hinreichten, seine Stimmung aus der heitersten und friedlichsten in die düsterste und gespannteste zu verwandeln, so könntet ihr euch, wenn ihr Maler wäret, wohl vorstellen, wie, ihm selber unbewußt, der Ausdruck seines Gesichts im Lauf einer Stunde die überraschendsten, jähsten und vollständigsten Wandlungen durchmachte, ihr begreift aber auch, daß dieses ausdrucksvolle Gesicht, dieser klare Spiegel eines ewig bewegten, von den süßesten und bittersten Empfindungen beherrschten Innern, für mich ein köstlicher Fund und mein geheimes Entzücken war. Es war vielleicht eine Sünde, aber ich hoffe, die Kunst wird mir Absolution für dieselbe auswirken – ich habe so manches mal dem Gelüst nicht widerstehen können, diese gehorsamen Gesichtsmuskeln förmlich exerziren zu lassen. Während einer Rast nach langer Wanderung das von reiner Freude an der Natur, für die er den angeborenen Künstlerblick hatte (wie ihm denn gar vieles angeflogen war, was wir andern erst mühsam lernen müssen), förmlich verklärte Gesicht durch eine von den Bemerkungen, aus denen er auf meine sittliche Abgestumpftheit, wo nicht Verwilderung schloß, – und ich nahm ihm nie etwas übel, auch solche Offenherzigkeiten nicht – zu einem ganz andern zu machen, dieser Versuchung konnte ich selten widerstehen. Es war dann immer, als lege sich ein Schatten über das liebe, offene Gesicht, die feinen Nasenflügel blähten sich, die langen Lider sanken über die großen, dunkeln Augen, die inneren Brauenhärchen sträubten sich unmuthig und die Lippen des feingeschnittenen Mundes, der mich immer an den eines Kindes erinnerte und den Gedanken, er könne je einen Kuß von unreinen Lippen dulden oder gar erwidern, zu einem seltsam unbehaglichen, ja peinlichen machte, schlossen sich herb und fest aufeinander. Selbst die Stimme unterlag dann einer Wandlung ganz eigner Art. Wenn er über Dinge, die ihn interessirten und ihm sympathisch waren, sorglos mit mir plauderte, hatte sie einen ganz eigenthümlichen Wohllaut, der ihm alle Kinder zu Freunden machte – reizte ihn irgend etwas zum Widerspruch, so nahm sie kurze, scharfe, ich möchte sagen: stählerne, Accente an oder sie wurde eigenthümlich tonlos und fast dumpf. Natürlich schreibt ihr das wieder auf Rechnung meiner an Manie grenzenden Vorliebe für meinen Helden, ich kann euch aber zuschwören, daß ich diese Stimme aus hunderten herausgehört hätte und daß ich ihm alles Ernstes den Rath gab, sich bei etwaigen geheimnißvollen Liebesintrigen weder auf die nächtliche Dunkelheit noch auf die sorgfältigste Verkleidung zu verlassen, sondern vor allem seine Stimme zum Flüsterlaut zu dämpfen; wer dieselbe einmal gehört, erkenne ihn sofort wieder, selbst auf eine ganz anständige Entfernung; diese Stimme war nämlich so, daß er beim Vorlesen den Ton nicht im geringsten zu heben brauchte, um mit jeder Silbe im entferntesten Winkel eines schon recht geräumigen Saals verstanden zu werden. Und wollt ihr mir nicht glauben, so berufe ich mich auf das Zeugniß einer böhmischen Gräfin, einer gefeierten Schönheit, die Männer jeden Schlags zu ihren kleinen Füßen gesehen hatte und schon als sachverständig gelten durfte. Als einmal in ihrem Beisein von der eigenthümlichen Kälte des jungen Hannoveraners die Rede war, kräuselte ein so vielsagendes und so unsäglich spöttisches Lächeln die rothen, vollen Lippen, sie zuckte mit so ausdrucksvollem Schweigen die weißen vollen Schulter, daß ich sie mit einem Lächeln des Einverständnisses ansah, und dann flüsterte sie mir hinter ihrem spitzen- und federbesetzten Fächer zu: „Möchte man nicht denken, sie seien sammt und sonders taub? Wer ihn nur einmal freundlich hat reden hören – nicht blos höflich – der sollte doch wissen, daß er hinreißend lieb sein muß, wenn er sich aufs Schmeicheln und Bitten legt, und wenn er das noch nicht versteht, so wird er’s eines Tages lernen, und ich habe fast Lust, die zu beneiden, die in der Stille ihres Boudoirs solche Laute von ihm vernimmt. Ich bin ja völlig objektiv, das aber weiß ich, daß er im Grunde seines Herzens ein Schwärmer ist, der, wenn er liebt, an die Ewigkeit und Unveränderlichkeit seiner Liebe glaubt, kurz, einer von den wunderlichen, gefährlichen Menschen, denen zu Liebe eine Frau die ärgsten und nicht wieder gut zu machenden Thorheiten begeht, die verhängnißvollsten Unbesonnenheiten, die sie bei einem Backfisch belächeln würde.“ – Ich erwiderte ihr lächelnd, ob sie, die Siegverwöhnte, nicht den Versuch machen wolle, jene erste zu sein, die ihm das Bitten lehre, sie aber sah mich überlegen, fast spöttisch an, als wollte sie fragen, ob sie die Frau sei, sich einen solchen Rath erst geben zu lassen, und sagte dann, ihren geheimen Gedanken laut weiterspinnend: „Mein Herr, Sie träumen – Männer, wie dieser junge Hannoveraner, verlieben sich nicht in eine Frau von Welt und das ist ihnen nicht einmal zu verdenken – sie erhalten zu wenig für das, was sie zu bieten haben.“ Uebrigens war es auch diese weiche, biegsame, einschmeichelnde Stimme, die ich freilich noch lieber hatte, wenn sie in verhaltener

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Rudolf Lavant: Idealisten. In: Die Neue Welt, Leipzig 1880, Seite 410. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Idealisten_35_08.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)