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Erregung leise, kaum merklich vibrirte, die mich zuerst auf dieses im besten Sinne vornehme Menschenkind aufmerksam machte. Ich schlenderte einmal spät nach Mitternacht um die Promenade; es war ganz dunkel und die Linden dufteten förmlich berauschend, da hörte ich nicht weit vor mir zwei Herren sich ziemlich laut und angelegentlich unterhalten und die eine Stimme und ihre frische Herzlichkeit fesselte sofort meine Aufmerksamkeit. Ich mußte unwillkürlich denken: „Dir möchte man stundenlang zuhören, rein der Freude am Wohlklang deiner Stimme wegen.“ Es ärgerte mich fast, als ich bemerkte, daß der, dem diese Stimme gehörte, Uniform trug – welche, konnte ich nicht sagen, da es von jeher zu meinen Wunderlichkeiten gehörte, nicht den geringsten Blick und nicht das geringste Gedächtniß für Uniformunterschiede und Rangabzeichen zu haben, ich bin eben dem zweierlei Tuch nie sonderlich grün gewesen und das Kriegshandwerk war mir immer ausbündig verhaßt. Nun, es blieb bei dem flüchtigen Eindruck, – die Herren bogen in eine Straße ein und ich vergaß die Stimme wieder, d. h. ich dachte nicht wieder an ihren Besitzer, denn als ich Monate nachher eine Gemäldeausstellung aus dem Privatbesitz der böhmischen Großen besuchte – es war eine Galerie czechischer Schönheiten darunter, die euch nicht wieder losgelassen hätte – fuhr ich fast herum, als ich plötzlich hinter mir dieselbe Stimme vernahm. Sie gehörte also wirklich einem Offizier, der einem Kameraden einzelne Bilder erläuterte und ihre Schönheiten und Mängel nachwies, und er entwickelte dabei, ohne sich gerade auf die Anwendung unserer technischen Ausdrücke zu versteifen, so viel feines Gefühl und ein so zutreffendes und richtiges Urtheil, daß ich ehrlich neugierig wurde, diesen absonderlichen Kriegsknecht kennen zu lernen. Der Zufall that mir den Gefallen, diesem Wunsche entgegenzukommen; ich konnte, als zwischen beiden Herren eine Meinungsverschiedenheit über die Nationalität eines Malers entstand, positive Auskunft ertheilen, ein Wort gab das andere und bald waren wir im lebhaftesten Geplauder, das später in einem benachbarten Café fortgesetzt ward und zum Kartentausch führte; „Oberleutnant im k. k. Geniekorps“ las ich, und das war mir merkwürdig lieb – diese gelehrte Waffe, die es nicht mit Säbel, sondern mit Zirkel und Reißschiene zu thun hat, vertrug sich ja am ehesten mit meiner keimenden Sympathie für den jungen Offizier.

Wir hatten uns getrennt, ohne einer erneuten Begegnung irgendwie Erwähnung zu thun – ich hatte aus einer Art von ehrgeizigem Trotz nichts sagen mögen und die Annäherung lustiger Weise von dem viel jüngeren Manne erwartet; hinterher sah ich mein Unrecht ein, aber es verdroß mich doch, daß ich mich immer wieder dabei ertappte, unwillkürlich den Weg nach dem Café einzuschlagen, das ich sonst nie besucht und das eine merkwürdige Anziehungskraft für mich gewonnen hatte, seit ich, wie ich mir ja gestehen mußte, im stillen hoffte, meinen Offizier hier wieder zu finden, wie oft auch diese stille Hoffnung enttäuscht ward. Welche Malicen ich mir selber sagte, so oft ich mir diesen geheimen Beweggrund eingestanden hatte und welche massiven Invektiven ich dem weitgewanderten alten Kerl an den Kopf warf, der auf dem besten Wege schien, sich in ein liebesieches Pensionatsbackfischchen zu verwandeln, mögt ihr euch selber ausmalen. Ich schwelge zuweilen förmlich in spöttischen Anzüglichkeiten gegen mich selber und doch widerstand ich nur schwer der Versuchung, den jungen Mann unter einem beliebigen Vorwand in seiner ja leicht zu ermittelnden Wohnung aufzusuchen, und ich konnte eine Regung lebhafter Freude nicht unterdrücken, als ich seiner eines Tags ganz unerwartet auf der Promenade ansichtig ward. Er trabte, ohne der Vorübergehenden zu achten, rasch vorüber, auf einem prächtigen Rapphengst, dessen Schweif fast den Boden fegte, und ich hatte meine Freude an dem schlanken Ebenmaß der jugendlichen Gestalt, die nichts Robustes hatte und doch wie ein Zentaur zu Pferde saß, und an der leichten Röthe, welche das halb sanfte, halb kühne Gesicht färbte. Dieses Gesicht war eigentlich auffallend blaß, aber es war das eine energische Blässe, die durchaus nicht den Eindruck der Krankhaftigkeit machte und die wohl auch viel weniger in die Augen gesprungen wäre, wäre sie nicht durch das fast schwarze leicht gelockte Haar, die großen dunkelbraunen Augen unter den schwarzen Brauen und den dichten, seidenweichen, kohlschwarzen Schnurbart, der keck, fast ein wenig kokett auf der Oberlippe saß, in effektvoller Weise hervorgehoben worden.

Empfohlene Zitierweise:
Rudolf Lavant: Idealisten. In: Die Neue Welt, Leipzig 1880, Seite 411. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Idealisten_35_09.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)