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über den sie nicht weggekommen sind, würdet ihr begreifen, daß mich diese Hand vollends in Flammen setzte. Hätte das Mädchen eine unschöne oder gar häßliche, knochige Hand mit kurzen breiten Nägeln gehabt – ich hätte mich nicht weiter um sie gekümmert; ich war einst in Prag der Tischnachbar einer sehr hübschen czechischen Komtesse, die mich durch ihr geistvoll-degagirtes Wesen anfänglich völlig gefangen nahm, als aber mein Blick auf ihre Hände viel, war ich wie mit kaltem Wasser übergossen und immer wieder mußte ich mit Bedauern auf die schwarzen, seidenen Halbhandschuhe blicken, die sich bemühten, den unglücklichen Fehler etwas weniger auffällig zu machen.

Nun, ich will euch nicht mit all den dummen Gedanken langweilen, die mir an diesem Tage und während eines Theils der nächsten Nacht durch den Kopf gingen; genug, ich ließ mir am Abend den Bart, der ziemlich verwildert war, stutzen, ich kaufte mir zwei neue Schlipse auf einmal und trieb die Verschwendung so weit, mir Glacéhandschuhe zuzulegen – alles das in dem dunklen Gefühl, daß mein dürftiger Leichnam sich wenigstens äußerlich etwas respektabler präsentiren müsse, um irgend welchen Eindruck auf die glückliche Besitzerin der schönsten Hand in Prag zu machen. Mich bei meiner Wirthin nach dem Mädchen zu erkundigen war mein fester Entschluß; als sie aber am andern Morgen ins Zimmer trat, ward mir diese Erkundigung, das naheliegendste Ding von der Welt, zu meiner eigenen Ueberraschung blutsauer; ich arbeitete schweigend weiter und that, als erführe ich etwas Funkelnagelneues, als die gute Frau mit einem schlauen Augenzwinkern fragte:

„Nun, ist sie nicht gleich zum Malen, wie sie da drüben sitzt und stickt? Ich wette, das gibt ein Bild.“

Ich trieb die Heuchelei so weit, sie überrascht anzusehen und zu fragen, wen sie meine, hatte aber damit wenig Glück. Alles, was Schürzen trägt, hat für Herzensgeheimnisse einen raschen und scharfen Blick, und ich glaube, die Alte bekam sofort Wind davon, daß ich auf dem besten Wege war, mich regelrecht zu verschießen. Sie erwiderte lachend:

„Nun sehe mir einmal einer die liebe Unschuld! Das thut, als hätte es die Schönheit drüben kaum eines Blicks gewürdigt, und hat doch sicherlich schon jeden Zug in dem lieben Gesicht studirt – man müßte die Männerleut’ nicht kennen, und besonders die Herren Maler, das sind die richtigen!“

So gings fort und ich brauchte nicht viel zu fragen, um eine ziemlich vollständige Biographie meines Gegenüber zu erhalten; sie war allerdings auch herzlich einfach, diese Biographie! Das Mädchen war guter Leute Kind, der Vater, ein Deutscher aus Siebenbürgen, war Förster in Diensten eines Erzherzogs gewesen, hatte aber infolge einer Verwundung durch einen Sonntagsjägerschuß bei einer Treibjagd in den rüstigsten Jahren pensionirt werden müssen. Die Mutter, eine Polin aus Galizien, war gestorben, als ihr einzig Kind kaum die ersten Schuhchen trug, und der Vater war nun auch seit fünf Jahren todt. Er hatte sich nicht wieder verheirathet und sein Töchterchen selber groß gezogen, so gut es eben hatte gehen wollen; sonst war er ein stiller, etwas wunderlicher Mann gewesen, der mit niemandem Umgang pflog und ganz in seinem Kinde aufging, das sein Glück und sein Stolz war. Er hatte seinem Liebling nicht so viel hinterlassen können, daß sie davon leben konnte, aber sie hatte merkwürdig hurtige und geschickte Fingerchen und einen ganz eignen Sinn und Schick, sodaß sie jahraus jahrein für Kirchen und Klöster gestickte Altarbekleidungen, Chorhemden, Stolen und dergleichen zu liefern hatte. Im Herbst schicken ihr die Heger des Reviers, in dem ihr Vater einst geschaltet und gewaltet, ganze Kisten voll von Eicheln, Nüssen, Bucheckern, Wachholderbeeren, Schlehenkernen, kurz von allem, was im Walde wächst, und mit diesem Material bekleidete sie Wandkörbchen, Zigarrenattrapen, Eckbreter und dergleichen so geschickt und geschmackvoll, daß dieser originelle Zimmerschmuck namentlich von Försterfamilien und Jagdliebhabern angelegentlich gesucht wurde, und daß sie immer Aufträge hatte und ganz anständig auskam.

Ich gestehe, daß mich der erste Theil dieser Mittheilung etwas verstimmte und ich bemerkte ziemlich gedehnt:

„Das ist nicht zu verwundern; die Herren von der Geistlichkeit werden gewiß honett bezahlen und aus christlicher Nächstenliebe gern geneigt sein, ein übriges für das hübsche Kind zu thun, das so gar verlassen und mutterseelenallein auf der Welt steht.“

Der Accent mochte etwas schwer auf dem „hübschen Kinde“ gelegen haben, denn meine Wirthin verstand mich sofort und ereiferte sich nun ganz gehörig. Ich erfuhr, daß ich mich durch diesen Verdacht an dem Mädchen versündigte und daß ich ihr denselben gewiß noch abbitten würde. Ihr Ruf sei fleckenlos; sie verkehre auch mit der Geistlichkeit nur brieflich und lebe so einsam und zurückgezogen, daß es eigentlich zum Weinen sei um all die frische Jugend und Schönheit. Die gute Frau wußte das alles von einer Schwägerin, die in demselben Hause wohnte, aus welchem das Mädchen in unser Hufeisenpalais gezogen war, weil die alte Frau, bei der sie bisher gewohnt, die Aufwärterin ihres Vaters, das Zeitliche gesegnet hatte. Die Schwägerin hatte die Waise ihrem Schutze empfohlen und die gute Frau bewies mir, daß sie entschlossen war, diesen Schutz auch auszuüben.

Ich hatte mich geduldig abkanzeln lassen; es hätte mir ja wehe gethan, wäre die Tugend des schönen Geschöpfs wurmstichig gewesen, und es that mir ordentlich gut, daß gar nichts an ihr auszusetzen war.

Das Mädchen hat dann noch eine gute Weile in meinem Kopfe fortrumort; ich beobachtete sie täglich und wurde dadurch unmerklich solid, ich hatte merkwürdig philisterhafte Gedanken über Heiraten und Familienglück, ich ertappte mich einmal bei der Aufstellung eines regelrechten Budgets – für mich eine Kraftanstrengung ersten Ranges – ja, ich verstieg mich bis zur anonymen Uebersendung eines Theaterbillets und eines Bouquets, deren Annahme aber rundweg verweigert wurde. Der Dienstmann, der mir achselzuckend über das negative Resultat seiner delikaten Mission Rapport erstattete, meinte, das gnädige Fräulein sei so kühl und gleichgültig gewesen, als käme ihr dergleichen jeden Tag wenigsten ein paarmal vor, und sie hätte so ernsthaft und befehlend erklärt, daß sie anonyme Zusendungen nicht annehme, daß er nicht die Kourage gehabt hätte, noch etwas zu sagen. Da hatte ich’s also; ich mußte nun selber ins Theater gehen, und daß ich mich an dem Abend wie ein Mops gelangweilt und wie ein Truthahn geärgert habe, brauche ich euch wohl nicht zu sagen. Am andern Morgen aber wurden die Blumen begossen und die Vögel gefüttert, wie jeden Tag, und dann setzte sich die Unzugängliche so ruhig mit dem Stickrahmen ans Fenster, als hätte der Gedanke, ihr vis-à-vis könne einen so gymnasiastenhaften Schwabenstreich begangen haben, ihren stolzen Kopf auch nicht stundenlang gekreuzt. Und dabei bot sie mir ihr schönes, edles Profil so voll, daß ich unwillkürlich nach dem Stift griff, um diese weichen Linien zu fixiren und darüber alles vergaß – Groll und Beschämung und Verlegenheit. Ob sie etwas davon bemerkt hat, das wissen die Götter; jedenfalls geruhte man nicht mehr Notiz von meiner Wenigkeit zu nehmen, als wenn ich der Mann im Monde gewesen wäre, und dieses unbemerkte Schmachten kam mir allmählich so lächerlich vor, daß mir alle weiteren Gedanken an Briefe und an Annäherungsversuche vermittels meiner Wirthin vergingen. Ich war ihr wohl einige male im Hofe begegnet und hatte sie gegrüßt, aber diese Höflichkeit wurde nur mir einer so stolzen, zerstreuten und gleichgültigen Neigung des Kopfes beantwortet, daß mir heiß wurde bei dem Gedanken an die Abfertigung, die man sich durch eine Ansprache zugezogen haben würde. Das Mädchen hatte etwas so seltsam Sicheres und Ablehnendes in ihrem Wesen, Haltung und Gang waren so unbewußt vornehm, daß ich den hätte sehen wollen, der ihr auf dem Trottoir nicht unwillkürlich ausgewichen wäre. Zu meiner komischen Verzweiflung machte ich bei dieser Gelegenheit auch noch die Entdeckung, daß der Fuß meiner verwunschenen Prinzessin ganz ihrer Hand entsprach und klein und schmal war, wie diese; ich dachte an die Elbkähne, welche die Natur mir in ihrer boshaften Laune als Piedestal gegeben hat und sagte mir zum zwanzigsten male: „Sei kein Narr – das Mädchen müßte eine komplete Närrin sein, heiratete sie dich; für sie muß irgend ein Prachtexemplar des Männergeschlechts heran, das wenigstens künstlerisch gedacht ihrer würdig ist.“ Mit der „verwunschenen Prinzessin“ aber hatte es folgende Bewandtniß. In meinem Flügel, aber ein paar Stiegen tiefer, wohnte ein Student, ein lustiges, keckes Blut, dem der Himmel noch voller Geigen hing und der sich das Studiren gewissenhaft und fürsorglich für die beiden Semester vor dem Examen aufhob. Dem war’s wieder einmal passirt, etwas zu tief in den Maßkrug mit goldigem Pilsner geblickt zu haben, und als er schräg über den Hof seiner Treppe zusteuerte, kam ihm die schöne Stickerin in den Wurf und er ermannte sich zu einem mehr oder weniger zärtlichen Kompliment. Er hat es aber nicht vollständig herausgebracht – ein nicht unbedeutender Rest blieb ihm in der Kehle stecken. Der Blick, durch

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Rudolf Lavant: Idealisten. In: Die Neue Welt, Leipzig 1880, Seite 446. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Idealisten_38_17.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)