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mir doch mit Ihren Hindernissen – die verlache ich! Das ist genau dasselbe, als wollten Sie mir die Hände mit Binsen binden, die zu zerreißen ein energischer Ruck genügt. Ohne Noth und ohne hinlänglichen Grund würde ich ja nicht alles, was ich bisher errungen, auf’s Spiel setzen, nicht meine Zukunft kompromittiren, aber wenn ich mich einmal mit Herz und Kopf verliebe – denken Sie gelegentlich einmal über den Ausdruck nach! – so wiegen all jene Rücksichten federleicht, es gibt überhaupt keine unübersteiglichen Hindernisse für zwei Menschen, die nicht blos ineinander verliebt sind, sondern die eingesehen haben, daß sie einander ergänzen, daß sie einander unentbehrlich sind, und daß sie durch feige Nachgiebigkeit eine Glücksmöglichkeit verscherzen, die sich ihnen schwerlich ein zweitesmal bieten wird. Es ist eine tiefernste Sache um eine Liebesneigung, wie ich sie verstehe, und wenn ich mir die Frage, ob ich nothfalls für dieses Mädchen jedes Opfer leichten Herzens bringen würde, nicht in aller Aufrichtigkeit und Gewissenhaftigkeit bejahen kann, so trete ich sicherlich zurück und wahre mir lieber meine Glücksmöglichkeit für später, als daß ich mich in einer Halbheit abmatte und meiner Seele beste Kräfte um nichts vergeude. Ich kann mir nicht anders vorstellen, als daß eine Leidenschaft, die in einem Bruch endet, weil man beiderseitig zu der Ueberzeugung gelangt ist, daß man doch nicht für einander taugt, eine furchtbare Erschöpfung zurücklassen muß, die sich nie wieder ausgleicht; es gibt Empfindungen, die man nur einmal hat, Worte, die man nur einmal spricht; will man sich wieder von der Empfindung gefangen nehmen lassen, so malt der Zweifel sein häßliches Fragezeichen neben den innigsten Erguß, will das Wort sich wieder über die Lippe drängen, das man schon einmal sprach, so mokirt man sich unwillkürlich über sich selber und so ist alles nur halb und der Blüthe der Neigung sind die Kelchblätter ausgebrochen. Das klingt Ihnen vielleicht heillos exzentrisch für einen Menschen des neunzehnten Jahrhunderts, der aller Romantik abgesagt haben sollte, aber ich bin vielleicht hundert Jahre zu spät zur Welt gekommen – kurz, ich habe diese Ueberzeugung, sie hört nicht auf, mich zu warnen und sie macht mich besonnen, vorsichtig, mißtrauisch, alles, was sie wollen – auch ihrem geheimnißvollen Waldkinde gegenüber, das gar nicht in besseren Händen sein kann, als in den meinen – sogar die Ihrigen nicht ausgenommen, so hübsch Sie Sich ihr gegenüber benommen haben.“

Das waren so unzweifelhaft keine wohlfeilen Tiraden, es war so sichtlich der Ausdruck tiefinnerster Ueberzeugung, und es stimmte so gut zu allem, was er bisher in Scherz und Ernst über seine innere Stellung zu Herzensangelegenheiten geäußert hatte, daß ich halb hingerissen und doch mit einem leichten Seufzer allen weiteren Einspruch aufgab und ihm nur versicherte, daß wir keine Rivalen sein würden. Bei mir war doch alles nur ein Spiel der Phantasie mit meinen Hagestolzskrupeln gewesen und jede ernstliche Bewerbung um das eigenthümliche Mädchen war mir als so aussichtslos erschienen, daß der Verzicht wahrhaft keine Selbstüberwindung erforderte.

Empfohlene Zitierweise:
Rudolf Lavant: Idealisten. In: Die Neue Welt, Leipzig 1880, Seite 459. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Idealisten_39_21.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)