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infolge eines häuslichen Vorfalls nicht selber benutzen konnte, und so war denn Curt für einen langen Abend im Hintergrund einer Loge der Nachbar des originellen Waldkindes und hatte vollauf Gelegenheit, sie zu sondiren.

Es war mir während dieses Theaterabends recht unbehaglich-widerspruchsvoll zu Muthe. Was sollte ich wünschen – daß das Mädchen einen geradezu hinreißenden oder einen unbedingt abstoßenden Eindruck auf Curt machte? Wir hatten verabredet, uns nach der Vorstellung im Café zu treffen, er wollte dem Mädchen, um sie nicht etwa in Allarm zu setzen und mißtrauisch zu machen, seine Begleitung nach Hause nicht anbieten und thun, als setze er als selbstverständlich voraus, daß sie abgeholt werde, und bei dieser vorsichtigen Taktik hatte er es denn auch bewenden lassen.

Er kam eigenthümlich angeregt, mit leuchtenden Augen und leicht gerötheten Wangen ins Café, und hatte bereits schweigend ein Glas Tschai geschlürft und seine Virginia lange nachdenklich betrachtet, als ihn mein erwartungsvolles: „Nun, wie gefällt sie Ihnen? – so erzählen Sie doch!“ zum Rapport zwang. Dieser Rapport fiel so lakonisch als möglich aus.

„Sehr, sehr gut – sie hat ein fühlendes Herz und einen logischen Kopf und die beiden zusammen geben erst die rechte Harmonie. Ich gehe jedenfalls weiter.“

Damit sollte ich abgespeist werden, aber das genügte mir begreiflicherweise nicht, und ich bat mir Details aus, die er denn, zögernd und widerstrebend wie ein Geizhals, gewährte.

Ich war vor ihr im Theater gewesen, und indem sie neben mir Platz nahm, ignorirte sie mich vollkommen und ging ganz und gar im Stück auf; daß sie mich nie gesehen oder mich wenigstens in der Civilkleidung nicht erkannte, war sofort außer Zweifel und dieser Umstand gab mir alle Sicherheit, deren ich bisher ermangelt hatte. Noch vor Ende des ersten Akts erlaubte ich mir, bemerkend, daß sie ohne Opernglas war, ihr das meinige zur Verfügung zu stellen, da mir das Pincenez genüge und diese ohne Ziererei und ohne übertriebene Dankbarkeit mit dem bescheidenen Selbstgefühl der geborenen Dame angenommene Artigkeit bildete den Ausgangspunkt eines Zwischenaktsgesprächs über das Stück, das dem selbstthätigen Verstand des Mädchens alle Ehre machte. Sie zeigte sich nicht eigentlich gesprächig, aber die Urtheile, welche sie mit der vollen Sicherheit der Ueberzeugung abgab, waren so hübsch formulirt und verriethen so viel Scharfsinn, daß ich mich unwillkürlich fragte, woher sie diese Kenntniß des Menschenherzens habe und ob dieselbe etwa nur eine intuitive sei; über allem, was sie sagte, lag es aber zugleich wie ein feiner Hauch von Mädchenhaftigkeit, der mich entzückte. Daß ich ihr auch nicht das geringfügigste Kompliment gemacht habe, ist wohl eine überflüssige Versicherung; Sie wissen sehr genau, daß ich eine geringe Meinung von den Frauen habe, denen ein Kompliment schmeichelt und daß ich mich für die Pein, die es mir verursachte, mit den gewöhnlichen Hofmachern zu konkurriren, dadurch räche, daß ich ein geringschätziges Urtheil über den Geschmack und über den Verstand der Betreffenden fälle. Das Mädchen war so unbefangen mir gegenüber, daß ich in Zweifel bin, ob ich darin eine indirekte und unabsichtliche Schmeichelei, d. h. einen Beweis von unwillkürlichem Vertrauen, oder eine ebenso indirekte und unabsichtliche Lektion für meine Eitelkeit, d. h. einen Beweis von Gleichgültigkeit zu sehen habe. Von all den kleinen Künsten ihres Geschlechts, deren man mit der Zeit müde wird, weil man sie ja doch mühelos durchschaut, keine Spur; dabei ein Organ von einer Tiefe und Fülle, von einem Wohllaut und einer Biegsamkeit, die selten sind – in der Klangfärbung etwas zugleich Wildes und Süßes, das freilich herausgefühlt sein will, so diskret ist es angedeutet.“

Das alles kam freilich nicht zusammenhängend, sondern in abgerissenen Sätzen heraus, die Curt halb träumerisch, mehr vor sich hin, als zu mir sprach, als rekapitulire er diese ersten Stunden an der Seite des ungewöhnliche Mädchens, und als suche er sich Rechenschaft abzulegen über den Zauber, den sie auf ihn ausgeübt. Seine Augen aber verloren ihr Leuchten nicht und um den Mund spielte ein ganz leises, aber so glückliches Lächeln, daß mir kein Zweifel blieb – das Mädchen hatte es ihm angethan und wenn er überhaupt wieder von ihr loskam, so geschah es nicht leichten Kaufs. Daran, daß er dem Mädchen vielleicht nicht halb so gut gefallen könne, als sie ihm, dachte ich wahrlich nicht; die Parteilichkeit der Freundschaft tödtete jede derartige Hypothese im Keime, und dann konnte man sich die beiden Menschen in der That gar nicht anders als zusammengehörig denken. Dennoch glaubte ich, Curt daran erinnern zu müssen, daß es doch nicht blos darauf ankomme, welchen Eindruck sie auf ihn gemacht habe, und er nahm mit das keineswegs übel.

„Das ist ja sehr leicht möglich,“ gab er mir zurück; „ich bin durchaus kein Adonis, und wenn ich’s wäre, so haperte es immer noch; es gibt Frauen genug, die von den ‚schönen’ Männern nichts wissen mögen und es noch eher mit einer charaktervollen Häßlichkeit halten. Ich halte mich auch durchaus nicht für unwiderstehlich, aber wenn es mir nicht gelingt, in dem Mädchen dieselbe heftige Neigung zu entzünden, deren ich mich für sie fähig fühle, so werde ich mich deswegen wahrhaftig nicht ins Grab legen. Damit ist eben nur bewiesen, daß ich mich geirrt habe, denn ‚unglückliche’ Liebe ist ein Unsinn, ein Unding, eine Unwürdigkeit, wenn man darunter etwas anderes versteht, als eine Liebe, die an äußeren Verhältnissen Schiffbruch leidet. Sie kann tragisch sein; einseitige, unerwiderte Liebe aber – geht mir mit der, die ist einfach verächtlich! Was liegt an dem Besitz, den ich erkaufen oder erzwingen, erschmeicheln oder erbetteln muß, der mir nicht freiwillig und doch gezwungen, aber gezwungen nur von einem süßen und unwiderstehlichen Verwandtschaftszug, geschenkt wird? Nach einer Frau zu schmachten, der ich gleichgültig bin – glauben Sie, daß ich mich jemals so weit erniedrigen würde? Der zwingende Verwandtschaftszug, der in den Zusammengehörigen, allen Verhältnissen zum Trotz, waltet, ist für mich das Primäre – der Besitz etwas Sekundäres; man muß sich zur Noth ohne ihn behelfen können, aber niemals darf man sich mit ihm zufrieden geben, und wer das thut, der wird mich, den werde ich nie verstehen.“

Ich konnte auch dieses Stück Philosophie nicht widerlegen, erlaubte mir aber die nüchterne, praktische Frage:

„Was nun? d. h. wie nun weiter?“

„Das will überlegt sein, doch macht mir das wenig Sorge – möglich, daß ich einen sehr großen Umweg mache, möglich auch, daß ich in vollster Ehrlichkeit geradeaus gehe und mich auf die natürliche Beredtsamkeit einer echten Neigung verlasse. Uebrigens müssen Sie mir nun einen Gefallen thun: fragen Sie mich fortan nicht mehr. Sobald ich festen Fuß gefaßt habe und übersehen kann, wie sich das weitere entwickeln wird, komme ich ganz von selber; es wird mir dann sogar ein Bedürfniß sein, mich Ihnen gegenüber auszusprechen. Uebergehe ich diese Seite meines Lebens mit Stillschweigen, so können Sie immer annehmen, daß es mir eine Pein wäre, Auskunft geben zu sollen.“

Dabei hielt er mir mit einem fast bittenden Blick die Hand hin und ich schlug ein – um für eine ganze Reihe von Wochen im Dunkeln gelassen zu werden und mich vergebens in Muthmaßungen zu erschöpfen.

Ich kann nicht gerade sagen, daß er mich in dieser Zeit weniger oft aufgesucht hätte; wäre das geschehen, so hätte sich ja auf häufige Rendenzvous schließen lassen. Aber es kam mir vor, als suche er unser Beisammensein abzukürzen – geschah das nur, weil er sich nach ungestörtem Alleinsein sehnte? Möglich war das schon, denn er war fast immer zerstreut und in Gedanken, und seine Gesprächigkeit hatte etwas Erzwungenes, seine Heiterkeit, die im allgemeinen seltner wurde, aber zuweilen höher und heller aufflackerte, als je zuvor, schien mir überreizt zu sein. Den einen Abend sah ich ihn weich und wie von einer unsäglichen süßen Träumerei gefangen genommen, den nächsten Abend war er schmerzlich gespannt, fast düster, und seine Augen bekamen öfter und öfter einen Ausdruck von Müdigkeit, der mich ernstlich beunruhigte. Die Gleichmäßigkeit der Grundstimmung machte Schwankungen Platz, die zwischen nervöser Unruhe und melancholischer Apathie hin und her irrten; er fing an, vieles zu toleriren und zu übersehen, was ihn früher unfehlbar in Harnisch brachte, und Dinge, die er sonst mit einem humoristischen Lächeln abfertigte, bekamen allmählich die Macht, ihn unwirsch und gereizt zu machen, sodaß ich ihn oft überrascht und besorgt betrachtete und im stillen den Kopf schüttelte. Er nahm es mit seinen dienstlichen Obliegenheiten strenger als je und trieb seine privaten Studien mit einem leidenschaftlichen Eifer; die einsamen nächtlichen Streifereien in der Umgebung und die nächtlichen Parforceritte schienen jetzt einen integrirenden Bestandtheil seiner Lebensweise zu bilden und von einem Verkehr mit den Kameraden und vollends von gesellschaftlichen Beziehungen war kaum mehr die Rede.

Ich sah das alles Tag für Tag mit an und oft schwebte mir eine theilnehmende Frage auf der Lippe. Ich wußte, wie

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Rudolf Lavant: Idealisten. In: Die Neue Welt, Leipzig 1880, Seite 470. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Idealisten_40_23.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)