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ein Opfer ihres Glaubens an die Güte und den Adel der menschlichen Natur werden, als solchen Worten mißtrauen wolle; sie würde es vor Ekel in einer Welt nicht mehr aushalten, die ihr den Glauben genommen, daß das größte Genie an der Aufgabe scheitere, alle Grenzen zwischen Natur und Kunst zu verwischen. Sie sehe in meiner Frage, ob wir uns nicht von Zeit zu Zeit bei Aufführungen klassischer Stücke – an allen andern habe sie keine rechte Freude – im Theater treffen könnten, nichts, was sie beunruhigen könne und sie gestehe gern, daß unsere Zwischenaktsplauderei ihr den Abend noch genußreicher mache. Das war alles, aber Sie fühlen leicht heraus, warum mich gerade diese ernste, schlichte und ehrliche Antwort weit mehr erfreute, als eine phrasenreiche und sentimentale, und warum es mir im innersten Herzen wohl that, daß sie bei unserer nächsten Begegnung in der Loge mich so unbefangen begrüßte, als seien zwischen uns eine Menge Zeremonien überflüssig, die unter dem gewöhnlichen Menschenpack vielleicht unerläßlich sind.

Die Idealisten werden, so lange die Welt steht, immer wieder versuchen, das alte rührende Traumbild von einer uninteressirten, unbefangenen Freundschaft zwischen Mann und Weib zur Wahrheit zu machen, sie werden immer wieder ihr Herzblut an die Lösung der Aufgabe setzen, mit einem ihnen wahlverwandten Wesen des andern Geschlechts eine jener Freundschaften zu schließen, die alles von der Liebe haben, nur – die Schwingen nicht, auf denen die treulose gerade dann entflieht, wenn man ihrer am sichersten zu sein glaubt. Bei den Frauen ist dieser Traum freilich selten und muß es aus tausend Gründen physischer und moralischer Art sein – um so mehr beglückte es mich, daß Leontine in unzweifelhafter heiliger Aufrichtigkeit nach nichts strebte, als danach, diesen Freundschaftstraum zu verwirklichen, und die Schönheit dieser Illusion wirkte so mächtig auf mich ein und rührte mich so tief, daß ich, obgleich längst im klaren darüber, daß ich das Mädchen liebte, tagelang glaubte, ich würde auch mit der Freundschaft dieses seltenen Geschöpfs zufrieden sein. Sie bewies mir ein so bedingungsloses Vertrauen, daß ich ein Schuft hätte sein müssen, um dasselbe zu mißbrauchen, und nicht einmal meine Stellung im Leben mochte ich länger vor ihr verbergen; es hätte schließlich doch wie eine Unredlichkeit, wie ein berechnetes Operiren mit Hintergedanken aussehen können und diesen Augen gegenüber schämte man sich unwillkürlich jeder Falschheit.

Das Herz klopfte mir doch, als ich das erste mal in Uniform in die Loge trat, in der sie bereits ihren gewohnten Platz eingenommen hatte; sie war auch überrascht und sah mich groß und fragend an, aber sie lächelte gleich darauf, fast, als geschehe ihr ein Gefallen damit, daß ich Soldat war, und als ich sie fragte, ob sie nicht verwundert sei, erwiderte sie ruhig und einfach, aber mit einer Betonung, die mir unwillkürlich das Gefühl gab, als seien die Worte nur die Schlußfolgerung aus einem langen Vordersatz: ‚Warum? Für mich ist es doch völlig gleichgültig, welche Stellung Sie im Leben einnehmen – wir treffen uns doch nur auf dem neutralen Boden dieser Loge. Im übrigen’ – und das klang allerdings fast ein wenig resignirt – ‚laufen unsere Wege ja weit auseinander.’

Das Aufgehen des Vorhangs schnitt mir die Antwort ab; ich mußte den ganzen ersten Akt hindurch über den Sinn und die Tragweite dieser Worte grübeln, als ich jedoch in der Pause auf dieselben zurückgreifen wollte, bat sie, die schöne Zeit nicht mit solchen Debatten zu vergeuden, die wahrlich keinen Werth hätten, und sie sah dabei so traurig aus, so von Ahnungen bedrückt, daß ich mich beeilte, ihren Wunsch zu erfüllen.

Es war der erste Schatten, der auf mein junges Glück fiel; so oft ich mir auch einzureden suchte, daß diese leichten Nebel vor der Sonne meiner Liebe spurlos zerfließen und verwehen würden – immer wieder mußte ich mir sagen, daß in dem Gesicht, in der Stimme und in dem ganzen Wesen des Mädchens etwas sei, welches solchen Worten eine Bedeutung gebe, wie man sie sonst nicht einmal Frauenschwüren beilegt.

Fürs erste wurden ja diese Anwandlungen von Bangigkeit verscheucht von dem Herzklopfen, mit dem ich gewahrte, wie unsere rein menschliche Intimität sich immer inniger und inniger gestaltet und wie ahnungslos oder – willenlos Leontine sich dem süßen Zug ihrer Neigung überließ. Ich konnte mir nicht denken, daß sie so naiv sei, nicht zu bemerken, daß ihr mein Herz sehnsüchtig entgegenstrebte; trügten nicht alle Zeichen, so war sie sich wohl bewußt, was in ihr vorging und hielt es einerseits nicht der Mühe werth, gegen ihr Verhängniß anzukämpfen, und andererseits unter ihrer Würde, sich mir gegenüber zu verstellen, da sie sah, daß ich ihr Empfinden stürmisch erwiderte. Es war in dieser Offenheit, in diesem Verschmähen der kleinen Verstellungskünste, zu denen die andern Frauen gewohnheitsmäßig oder instinktiv greifen, ein Zug von Größe und Adel, der mich berauschte, aber – es war auch etwas eigenthümlich Melancholisches in diesem Allesgehenlassen, und sie gab mir oft Antworten, die in ihrer dunklen Weichheit tagelang in mir forthallten und aus denen ich entnehmen zu müssen glaubte, daß sie viel weiter sah als ich und daß, was sie sah, traurig war, traurig zum Sterben.

So lagerte es auch über der Zeit vor dem ersten Kuß wie eine beklemmende Schwüle, wie jene knospensprengende Aprilschwüle, die uns bei Veilchenduft und Finkenschlag oft trauriger macht, als, trotz Laubfall und Marienfädenziehen, ein Oktobertag. Es verstand sich bald von selbst, daß ich sie vom Theater heimbegleitete, und wenn sie mich in der Nähe ihrer Wohnung verabschiedete, so wußte ich aus ihrem eignen Munde, daß es ‚nur der Leute wegen’ geschah; sie hatte die Entschuldigung mit einem so verächtlichen Achselzucken begleitet, daß ich sie auf offener Straße hätte küssen mögen. Sie bewilligte mir auch andere Begegnungen und ließ mich nie warten, und sie bewilligte alles ohne Befangenheit, ohne Zaudern und ohne Ziererei, selbst ohne das übliche ‚purpurne’ Erröthen – es war, als hätte sie die Frage auf der Zunge; ‚Warum hast du das nicht schon längst vorgeschlagen? Wir haben keine Zeit zu verlieren, wir müssen eilen, wenn wir eine kurze Zeit glücklich sein wollen, sonst kommt der Tod oder sonst ein dunkles Verhängniß und reißt uns auseinander.’ So kamen wir zum „du“. Es entschlüpfte mir ohne jede Absicht – als ich das betheuern wollte, sagte sie ernst: ‚Warum vertheidigst du dich? Laß uns immerhin „du“ sagen, wir beide werden dieses du gewiß nicht entweihen und haben ein größeres Recht auf dasselbe, als tausend andere.’ So kamen wir zum ersten Kuß. Es war eine kalte, windige Nacht und der Sturm hatte ihren Schleier an einer Seite losgerissen; ich fing ihn ein, und als ich ihn sorgfältig wieder drapiren wollte, sah ich, daß eine schwere Thräne in ihren Augen stand. Wir hatten von ihrem Vater gesprochen, an dem sie mit einer an religiöse Verehrung grenzender Pietät hing, und ich hatte gefragt, ob er sich nicht freuen würde, wenn er uns zusammensähe. ‚Tief genug war er dazu – er sagte oft, daß die menschlichen Dinge sich nicht nach einer Schablone beurtheilen ließen, und daß man nothwendig lieblos, ja grausam werde, wenn man an alle Menschen und an alle Verhältnisse denselben Maßstab lege; für den einen sei er zu klein, für den andern zu groß.’ Dabei sah ich die großen, dunklen Augen, die sich im Theater bei einer ergreifenden Szene freilich leicht feuchteten, zum ersten male in hellen Thränen, und als ich ihr überrascht und mit scheuer Lippe die glänzenden Tropfen unwillkürlich aus den Lidern küßte, lächelte sie nachdenklich und weich und – bot mir den schönen Mund selbst zum Kuß.

Ich wollte den Erzähler unterbrechen, aber er wehrte mit der Hand bittend ab und sagte hastig:

„Ich weiß, was Sie sagen wollen – Sie können nichts sagen, was ich mir nicht selber schon in schlaflosen Nächten fiebernd vorgestellt, was ich nicht nach allen Seiten erwogen hätte. Wir beiden haben uns nichts mehr zu sagen; sie hat das Geständniß meiner unauslöschlichen Neigung durch einen Ausdruck von Leidenschaftlichkeit erwidert, dessen Ungestüm nur seiner Zartheit, dessen Rückhaltlosigkeit nur seiner gedankenvollen Weichheit gleichkam. Sie nannte sich das glücklichste Geschöpf auf der weiten Erde, sie küßte meine Hände und badete sie in Thränen, sie war so froh, wie ich sie nie gesehen, und es war ein Leuchten in ihren Augen, als sei alle Schwere der Körperlichkeit von ihr gewichen, aber als ich sie meine Frau nannte, als ich ein Bild wahren, reinen Gattenglücks ihr aufrollen wollte, da legte sie wie in tiefem Erschrecken die Hand auf meinen Mund und bat fast flehentlich: ‚Sprich davon nicht, es ängstigt mich.’ Und dabei ist es geblieben, und alle meine Bitten und Vorstellungen und Beschwörungen haben nichts gefruchtet. So oft ich in Stunden überströmender Zärtlichkeit auf eine Verbindung zwischen uns anspielte, so oft ich Zukunftspläne entwarf, so oft ich sie fragte, wann sie ganz mein werden wolle, stets wich sie aus, stets suchte sie mich durch einen Scherz oder eine garziöse Zärtlichkeit auf andere Gedanken zu bringen, und wenn alles nicht fruchten wollte, dann bildete sich ein unsäglich schmerzlicher Zug um ihren Mund, es war, als verschleierten sich ihre Augen und sie bat ernst und

Empfohlene Zitierweise:
Rudolf Lavant: Idealisten. , Leipzig 1880, Seite 481. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Idealisten_41_26.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)